Rudolf Steiner:

 

Anthroposophie und Anthropologie

(1917)

 

Erschienen in:

 

�Von Seelenr�tseln�

GA 21

 

 


Thanks to the donation of Christian Clement, this Essay has been made available.

 

Max Dessoirs Buch �Vom Jenseits der Seele� enth�lt einen kurzen Abschnitt, in dem die von mir vertretene anthroposophisch orientierte Geisteswissenschaft als wissenschaftlich unberechtigt gekennzeichnet werden soll.[1] Nun k�nnte es manchem scheinen, als ob eine Diskussion mit Pers�nlichkeiten, welche auf dem wissenschaftlichen Gesichtspunkte Dessoirs stehen, f�r den Vertreter der geisteswissenschaftlichen Anthroposophie unter allen Umst�nden unfruchtbar sein m�sse. Denn der letztere mu� ein rein geistiges Erfahrungsgebiet behaupten, das der erstere grunds�tzlich ablehnt und in den Bereich der Phantasiegebilde verweist. Man k�nne also �ber die in Betracht kommenden geisteswissenschaftlichen Erkenntnisse nur mit jemand sprechen, der von vorneherein Gr�nde zu haben glaubt daf�r, da� das gemeinte geisteswissenschaftliche Gebiet eine Wirklichkeit ist. - Diese Ansicht w�re richtig, wenn der Vertreter der Anthroposophie nichts anderes vorbr�chte als seine inneren pers�nlichen Erlebnisse, und diese sich einfach neben die Ergebnisse der auf Sinnesbeobachtung und wissenschaftliche Verarbeitung dieser Beobachtung begr�ndeten Wissenschaft hinstellten. Dann k�nnte man sagen: der Bekenner der so gekennzeichneten Wissenschaft lehne es eben ab, die Erlebnisse des Erforschers des Geistgebietes als Wirklichkeiten anzusehen, und dieser k�nne mit dem von ihm Vorgebrachten nur auf solche Pers�nlichkeiten Eindruck machen, die von vorneherein sich auf seinen Gesichtspunkt stellen.

Nun beruht aber diese Meinung doch nur auf einer mi�verst�ndlichen Auffassung dessen, was von mir Anthroposophie genannt wird. Richtig ist, da� diese Anthroposophie auf seelischen Erfahrungen beruht, die unabh�ngig von den Eindr�cken der Sinneswelt und auch unabh�ngig von den wissenschaftlichen Urteilen gewonnen werden, die nur auf die Sinneseindr�cke sich st�tzen. Es mu� also zugegeben werden, da� beide Arten von Erfahrungen zun�chst wie durch eine un�bersteigliche Kluft geschieden scheinen. - Doch dieses entspricht nicht der Wahrheit. Es gibt ein gemeinsames Gebiet, auf dem sich beide Forschungsrichtungen begegnen m�ssen, und auf dem eine Diskussion m�glich ist �ber dasjenige, was von der einen und der anderen vorgebracht wird. Dies gemeinsame Gebiet l��t sich auf die folgende Art kennzeichnen.

Der Vertreter der Anthroposophie glaubt aus Erfahrungen heraus, die nicht nur seine pers�nlichen Erlebnisse sind, behaupten zu d�rfen, da� die menschlichen Erkenntnisvorg�nge von dem Punkte an weiter entwickelt werden k�nnen, bei dem derjenige Forscher halt macht, der sich nur auf Sinnesbeobachtung und Verstandesurteil �ber diese Sinnesbeobachtung st�tzen will. Ich m�chte in dem Folgenden, um fortw�hrenden langatmigen Umschreibungen zu entgehen, die auf Sinnesbeobachtung und verstandesgem��e Bearbeitung der Sinnesbeobachtung gest�tzte Wissenschaftsrichtung Anthropologie nennen und bitte den Leser, mir diesen nicht gew�hnlichen Gebrauch dieses Ausdruckes zu gestatten. Er soll in den folgenden Ausf�hrungen nur f�r das hier Gekennzeichnete angewendet werden. In diesem Sinne meint Anthroposophie mit ihrer Forschung da beginnen zu k�nnen, wo Anthropologie aufh�rt.[2]

Der Vertreter der Anthropologie bleibt dabei stehen, die in der Seele erlebbaren Verstandesbegriffe auf die Sinneserlebnisse zu beziehen. Der Vertreter der Anthroposophie macht die Erfahrung, da� diese Begriffe, abgesehen davon, da� sie auf die Sinneseindr�cke bezogen werden sollen, noch ein eigenes Leben f�r sich in der Seele entfalten k�nnen. Und da� sie, indem sie dieses Leben innerhalb der Seele entfalten, in dieser selbst eine Entwickelung zustande bringen. Er wird sich bewu�t, wie die Seele, wenn sie auf diese Entwickelung die notwendige Aufmerksamkeit wendet, innerhalb ihres Wesens die Entdeckung macht, da� sich in ihr Geistorgane offenbaren. (Ich gebrauche diesen Ausdruck �Geistorgane�, indem ich erweiternd den Sprachgebrauch aufnehme, dem Goethe aus seiner Weltanschauung heraus gefolgt ist, als er die Ausdr�cke �Geistes-Augen�, �Geistes-Ohren� anwandte.)[3] Solche Geistorgane stellen dann f�r die Seele Bildungen dar, die f�r sie �hnlich gedacht werden d�rfen wie die Sinnesorgane f�r den Leib. Selbstverst�ndlich d�rfen sie nur seelisch gedacht werden. Jeder Versuch, sie mit irgendeiner leiblichen Bildung zusammenzubringen, mu� von der Anthroposophie strengstens abgelehnt werden. Sie mu� ihre Geistorgane so vorstellen, da� sie in keiner Weise aus dem Bereich des Seelischen heraustreten und in das Gef�ge des Leiblichen �bergreifen. Ihr gilt ein solches �bergreifen als krankhafte Bildung, die sie aus ihrem Bereich streng ausschlie�t. Die Art, wie innerhalb der Anthroposophie �ber die Entwickelung der Geistorgane gedacht wird, sollte f�r denjenigen, der sich �ber diese Art wirklich unterrichtet, ein gen�gend starker Beweis sein daf�r, da� �ber abnorme Seelenerlebnisse, �ber Illusionen, Visionen, Halluzinationen usw. f�r den Erforscher des wirklichen Geistgebietes keine anderen Vorstellungen vorhanden sind als die auch innerhalb der Anthropologie berechtigten.[4] Eine Verwechselung der anthroposophischen Ergebnisse mit abnormen sogenannten Seelenerlebnissen beruht immer auf Mi�verst�ndnis oder ungen�gender Kenntnis des in der Anthroposophie Gemeinten. Auch kann derjenige, der einsichtsvoll verfolgt, wie Anthroposophie den Weg zur Entwickelung der Geistorgane darstellt, gewi� nicht auf die Meinung verfallen, dieser Weg k�nne zu krankhaften Bildungen oder Zust�nden f�hren. Der Einsichtsvolle sollte vielmehr erkennen, da� alle Stufen des seelischen Erfahrens, welche der Mensch im Sinne der Anthroposophie auf dem Wege zur Geist-Anschauung erlebt, in einem Gebiete liegen, das ganz nur seelisch ist, und neben dem das Erleben der Sinne und die gew�hnliche Verstandest�tigkeit unver�ndert so verlaufen, wie sie vor der Entstehung dieses Gebietes verlaufen sind. Da� gerade in bezug auf diese Seite der anthroposophischen Erkenntnis viele Mi�verst�ndnisse herrschen, r�hrt davon her, da� es manchen Menschen Schwierigkeiten bereitet, ein rein Seelisches in den Bereich ihrer Aufmerksamkeit zu ziehen. Solche Menschen werden sogleich verlassen von der Kraft ihres Vorstellen, wenn dieses nicht gest�tzt ist durch den Hinblick auf sinnlich Wahrnehmbares. Es d�mpft sich dann deren Vorstellungskraft herunter selbst unter das Ma� von St�rke, die im Tr�umen herrscht, bis zu jenem niedrigen Grade, der f�r das Vorstellen im traumlosen Schlafe vorhanden ist, und der nicht mehr bewu�t wird. Man kann sagen, solche Menschen sind in ihrem Bewu�tsein erf�llt von den Nachwirkungen oder der unmittelbaren Wirkung der Sinnes-Eindr�cke, und es geht neben diesem Erf�llt-Sein ein Verschlafen alles dessen einher, das als Seelisches erkannt w�rde, wenn es erfa�t werden k�nnte. Man kann sogar sagen, da� das Seelische in seiner Eigenart deshalb von vielen Menschen dem sch�rfsten Mi�verst�ndnis ausgesetzt wird, nur weil sie gegen�ber demselben nicht in der gleichen Art aufwachen k�nnen wie gegen�ber dem sinnlichen Inhalt des Bewu�tseins. Da� Menschen mit nur denjenigen Aufmerksamkeitsgraden, welche das gew�hnliche �u�ere Leben bewirkt, In solcher Lage sind, braucht niemand in Verwunderung zu versetzen, der im rechten Lichte zum Beispiel zu sehen vermag, welche Lehre aus einem Vorw�rfe zu ziehen ist, den Franz Brentano dem Philosophen William James mit Bezug auf diese Sache machen mu�. Brentano schreibt, da� man �zwischen der empfindenden T�tigkeit und dem, worauf sie gerichtet ist, also zwischen Empfinden und Empfundenem, zu unterscheiden� habe (�und sie sind so sicher verschieden als mein gegenw�rtiges Mich-Erinnern und das Ereignis, das mir dabei als vergangen vorschwebt, oder, um einen noch drastischeren Vergleich anzuwenden, mein Ha� eines Feindes und der Gegenstand dieses Hasses verschieden sind�) und er macht dazu die Bemerkung, da� man den Irrtum, gegen den sich diese Worte richten, �da und dort auftauchen� sehe. Er sagt weiter: �Unter anderen hat William James ihn sich eigen gemacht, und auf dem Internationalen Kongre� f�r Psychologie, Rom 1905, in l�ngerer Rede zu begr�nden versucht. Weil mir, wenn ich in einen Saal blicke, zugleich mit dem Saal auch mein Sehen erscheint; weil ferner Phantasiebilder von sinnlichen Gegenst�nden sich von objektiv erregten Sinnesbildern derselben nur graduell unterscheiden; weil endlich K�rper von uns sch�n genannt werden, der Unterschied von Sch�n und H��lich aber zu dem Unterschiede von Gem�tsbewegungen in Beziehung steht: so sollen psychisches und physisches Ph�nomen nicht mehr als zwei Klassen von Erscheinungen gelten. - Es ist mir schwer verst�ndlich, wie sich dem Redner selbst die Schw�che dieser Argumente nicht f�hlbar gemacht hat. Zugleich erscheinen hei�t nicht als dasselbe erscheinen, wie zugleich sein nicht so viel ist als dasselbe sein. Und darum konnte Descartes ohne Widerspruch empfehlen, zun�chst wenigstens zu leugnen, da� der Saal, den ich sehe, sei, und nur daran, da� das Sehen des Saales sei, als an etwas Unzweifelhaftem festzuhalten. Ist aber das erste Argument hinf�llig, dann offenbar auch das zweite; denn was verschl�ge es, wenn ein Phantasieren von einem Sehen sich nur durch den Intensit�tsgrad unterschiede, da, selbst wenn auch dieser ausgeglichen w�re, die volle Gleichheit des Phantasierens mit dem Sehen nach eben dem Gesagten nur die Gleichheit mit einem psychischen Ph�nomen bedeuten w�rde? Im dritten Argument wird von Sch�nheit gesprochen ... Es ist nun aber gewi� eine seltsame Logik, welche daraus, da� �das Wohlgefallen am Sch�nen� etwas Psychisches ist, schlie�en will, da� auch das, an dessen Erscheinung es gekn�pft ist, etwas Psychisches sein m�sse. W�re dies richtig, so w�re auch jedes Mi�fallen identisch mit dem, woran einer ein Mi�fallen hat, und man m��te sich wohl h�ten, einen begangenen Fehler zu bereuen, da in dieser mit ihm identischen Reue der Fehltritt selbst sich wiederholen w�rde. - Bei solcher Lage der Dinge d�rfte es denn doch nicht wohl zu f�rchten sein, da� die Autorit�t von James, der sich leider unter den deutschen Psychologen die eines Mach gesellt, viele dazu verleiten werde, die augenf�lligsten Unterschiede zu verkennen.�[5] Jedenfalls ist diese �Verkennung der augenf�lligsten Unterschiede� keine seltene Tatsache. Und sie beruht darauf, da� die Kraft des Vorstellens die n�tige Aufmerksamkeit nur f�r den Sinneseindruck entfalten kann, w�hrend das eigentlich Seelische, das dabei vorgeht, dem Bewu�tsein sich nicht st�rker vergegenw�rtigt als das im Zustand des Schlafes Erlebte. Man hat es mit zwei Str�mungen von Erlebnissen zu tun, von denen die eine wachend erfa�t, die andere aber - die seelische - gleichzeitig nur mit einer der abgeschw�chten Vorstellungskraft des Schlafes gleichkommenden, also fast mit gar keiner Aufmerksamkeit ergriffen wird. Es darf eben durchaus nicht au�er acht gelassen werden, da� w�hrend des gew�hnlichen Wachzustandes des Menschen die seelische Verfassung des Schlafes nicht einfach aufh�rt, sondern neben dem Wachen fortdauert, und da� das eigentlich Seelische nur dann in den Bereich des Wahrnehmens tritt, wenn der Mensch nicht blo� f�r die Sinneswelt erwacht, wie dies im gew�hnlichen Bewu�tsein stattfindet, sondern auch f�r das seelische Dasein, wie das im schauenden Bewu�tsein der Fall ist. Ob nun durch das im Wachen fortdauernde Schlafen f�r das Seelische dieses letztere - im grob materialistischen Sinne - geleugnet wird, oder ob, weil es nicht gesehen, mit dem Physischen zusammengeworfen wird, wie im Falle James�, ist fast gleichg�ltig; die Ergebnisse sind fast die gleichen: beides f�hrt zu verh�ngnisvollen Kurzsichtigkeiten. Nicht verwunderlich aber ist, da� so oft das Seelische unwahrnehmbar bleibt, wenn selbst ein Philosoph wie W. James es nicht in richtiger Art von dem Physischen zu scheiden vermag.[6]

Wer so wenig wie W. James das wesentlich Seelenhafte von den durch die Sinne erlebten Seelen-Inhalten absondern kann, mit dem l��t sich schwer sprechen von demjenigen Gebiete im Seelendasein, innerhalb dessen die Entwickelung der Geistorgane beobachtet werden soll. Denn diese Entwickelung geht eben dort vor sich, wohin sich seine Aufmerksamkeit nicht zu wenden vermag. Sie f�hrt von dem verstandesm��igen zum schauenden Erkennen. Nun ist aber durch die F�higkeit, das wesenhaft Seelische wahrzunehmen, noch nichts weiter erreicht, als eine allererste Vorbedingung, die es m�glich macht, den geistigen Blick dahin zu lenken, wo die Anthroposophie die Entwickelung der Seelenorgane sucht. Denn, was sich zun�chst diesem Blicke darbietet, das verh�lt sich zu dem, wovon Anthroposophie als von dem mit Geistorganen ausger�steten Seelenwesen spricht, wie eine undifferenzierte lebendige Zelle zu einem mit Sinnesorganen ausgestatteten Lebewesen. Die einzelnen Geistorgane selbst aber werden nur in dem Ma�e der Seele als ihr Besitz bewu�t, in dem sie dieselben zu gebrauchen vermag. Denn diese Organe sind nicht etwas Ruhendes; sie sind in fortw�hrender Beweglichkeit. Und wenn sie nicht im Gebrauche sind, kann man sich auch ihres Vorhandenseins nicht bewu�t sein. F�r sie f�llt also Wahrnehmen und im Gebrauche Stehen zusammen. Wie die Entwickelung dieser Organe und damit auch ihre Wahrnehmbarkeit zutage tritt, das findet man in meinen anthroposophischen Schriften geschildert. Ich will hier nur auf einiges in dieser Richtung Liegendes hinweisen.

Wer sich dem Nachdenken �ber die durch die Sinnes-Erscheinungen bewirkten Erlebnisse hingibt, der st��t �berall auf Fragen, zu deren Beantwortung ihm dieses Nachdenken zun�chst unzul�nglich erscheint. Im Verfolg solchen Nachdenkens kommen die Vertreter der Anthropologie zur Festlegung von Erkenntnisgrenzen. Es braucht nur daran erinnert zu werden, wie Du Bois-Reymond in seiner Rede �ber die Grenzen des Naturerkennens davon spricht, da� man nicht wissen k�nne, welches das Wesen der Materie ist, und welches dasjenige der einfachsten Bewu�tseinserscheinung. Man kann nun an solchen Punkten des Nachdenkens stehen bleiben und sich der Meinung hingeben: da liegen eben f�r den Menschen un�bersteigliche Erkenntnisschranken. Und man kann demgem�� sich dabei beruhigen, da� der Mensch nur innerhalb des von diesen Schranken umschlossenen Gebietes ein Wissen erlangen k�nne und dar�ber hinaus nur ein Ahnen, F�hlen, Hoffen, W�nschen m�glich sei, mit denen eine �Wissenschaft� nichts zu tun haben k�nne. - Oder man kann in diesem Punkte anheben, Hypothesen auszubilden �ber ein Gebiet, das �ber das Sinnlich-Wahrnehmbare hinausliegt. Man bedient sich in einem solchen Falle des Verstandes, von dem man glaubt, da� er seine Urteile �ber ein Gebiet ausdehnen d�rfe, von dem die Sinne nichts wahrnehmen. Man wird sich mit einem solchen Verfahren der Gefahr aussetzen, da� der in dieser Beziehung Ungl�ubige erwidert, der Verstand habe keine Berechtigung, �ber eine Wirklichkeit zu urteilen, f�r die ihm die Grundlage der Sinneswahrnehmungen entzogen ist. Denn diese allein g�ben seinen Urteilen einen Inhalt. Ohne einen solchen Inhalt blieben seine Begriffe leer. Die anthroposophisch orientierte Geisteswissenschaft verh�lt sich nicht in der einen und nicht in der andern dieser beiden Arten zu den �Erkenntnisgrenzen�. In der zweiten nicht, weil sie mit denjenigen der gleichen Ansicht sein mu�, welche empfinden, da� man gewisserma�en allen Boden f�r das Nachdenken verliert, wenn man die Vorstellungen so bel��t, wie man sie an den Sinneswahrnehmungen gewonnen hat, und sie doch �ber dieses Gebiet hinaus anwenden will. - In der ersten Art nicht, weil sie gewahr wird, da� sich an den sogenannten Grenzen des Erkennens etwas seelisch erleben l��t, das mit dem aus der Sinneswahrnehmung gewonnenen Vorstellungs-Inhalt nichts zu tun hat. Wenn die Seele nur diesen Inhalt sich vergegenw�rtigt, dann mu� sie bei wahrer Selbstbesinnung sich sagen: dieser Inhalt kann unmittelbar nicht etwas anderes dem Erkennen offenbaren als eine Nachbildung des sinnlich Erlebten. Anders wird die Sache, wenn die Seele dazu �bergeht, sich zu fragen: was l��t sich in ihr selbst erfahren, wenn sie mit solchen Vorstellungen sich erf�llt, zu denen sie an den gew�hnlichen Erkenntnisgrenzen gef�hrt wird? Sie kann sich dann bei entsprechender Selbstbesinnung sagen: erkennen im gew�hnlichen Sinne kann ich mit solchen Vorstellungen nichts; aber in dem Falle, in dem ich mir diese Ohnmacht des Erkennens recht innerlich anschaulich mache, werde ich gewahr, wie diese Vorstellungen in mir selbst wirken. Als gew�hnliche Erkenntnisvorstellungen bleiben sie stumm; aber in eben dem Ma�e, als sich ihre Stummheit dem Bewu�tsein immer mehr mitteilt, gewinnen sie ein eigenes inneres Leben, das mit dem Leben der Seele eine Einheit wird. Und die Seele bemerkt dann, wie sie mit diesem Erleben in einer Lage ist, die sich etwa mit der Lage eines blinden Wesens vergleichen l��t, das auch noch keine besondere Ausbildung seines Tastsinnes erfahren hat. Ein solches Wesen w�rde zun�chst �berall hin ansto�en. Es w�rde den Widerstand der �u�eren Wirklichkeiten empfinden. Und aus dieser allgemeinen Empfindung k�nnte sich ein inneres Leben entwickeln, erf�llt von einem primitiven Bewu�tsein, das nicht mehr blo� die allgemeine Empfindung hat: ich sto�e an Dinge, sondern das diese Empfindung in sich vermannigfaltigt und H�rte von Weichheit, Gl�tte von Rauhigkeit usw. unterscheidet. - In dieser Art kann die Seele das Erlebnis in sich erfahren und vermannigfaltigen, das sie mit den an den Erkenntnisgrenzen gebildeten Vorstellungen hat. Sie lernt erfahren, da� diese Grenzen nichts anderes darstellen als dasjenige, was entsteht, wenn sie von der geistigen Welt seelisch ber�hrt wird. Das Gewahrwerden solcher Grenzen wird der Seele zu einem Erlebnis, das sich vergleichen l��t mit dem Tast-Erlebnis auf dem sinnlichen Gebiete.[7] Was sie vorher als Grenze des Erkennens bezeichnet hat, in dem sieht sie nunmehr die geistig-seelische Ber�hrung durch eine geistige Welt. Und aus dem besonnenen Erleben, das sie mit den verschiedenen Grenzvorstellungen haben kann, besondert sich ihr die allgemeine Empfindung einer geistigen Welt zu einem mannigfaltigen Wahrnehmen derselben. Auf solche Art wird die gewisserma�en niedrigste Art der Wahrnehmbarkeit der geistigen Welt zum Erlebnis. Es ist damit nur das erste Aufschlie�en der Seele f�r die geistige Welt gekennzeichnet. Aber es ist auch gezeigt, da� in demjenigen, was die von mir gemeinte Anthroposophie als geistige Erlebnisse anstrebt, nicht auf allgemeine nebulose gef�hlsm��ige Selbsterlebnisse der Seele gedeutet wird, sondern auf etwas, das in gesetzm��iger Art in einem wirklichen inneren Erleben entwickelt wird. Es kann hier nicht der Ort sein, zu zeigen, wie die erste primitive Geist-Wahrnehmung durch weitere seelische Verrichtungen gesteigert wird, so da�, wie von einem geistig-seelischen Tasten, auch von anderen gewisserma�en h�heren Wahrnehmungsarten gesprochen werden kann. Es mu� bez�glich der Schilderung solcher seelischer Verrichtungen auf meine anthroposophischen B�cher und Aufs�tze verwiesen werden. Hier sollte nur das Prinzipielle angedeutet werden �ber die geistige Wahrnehmung, von welcher die Anthroposophie spricht.

Durch einen Vergleich m�chte ich noch veranschaulichen, wie anders das ganze Verhalten der Seele innerhalb der anthroposophischen Geistes-Erforschung ist als in der Anthropologie. Man stelle sich eine Anzahl von Weizenk�rnern vor. Man kann diese als Nahrungsmittel verwenden. Man kann sie aber auch in die Erde setzen, soda� sich andere Weizenpflanzen aus ihnen entwickeln. Man kann Vorstellungen, die man durch die Sinnes-Erlebnisse gewonnen hat, so im Bewu�tsein halten, da� man in ihnen das Nachbilden der sinnenf�lligen Wirklichkeit erlebt. Und man kann sie auch so erleben, da� man die Kraft in der Seele wirksam sein l��t, die sie in derselben durch dasjenige aus�ben, was sie sind, abgesehen davon, da� sie ein Sinnliches abbilden. Die erste Wirkungsweise der Vorstellungen in der Seele l��t sich vergleichen mit dem, was durch die Weizenk�rner wird, wenn sie als Nahrungsmittel von einem Lebewesen aufgenommen werden. Die zweite mit der Hervorbringung einer neuen Weizenpflanze durch jedes Samenkorn. - Der Vergleich darf allerdings nur so gedacht werden, da� man ber�cksichtigt: aus dem Samenkorn wird eine der Vorfahren-Pflanze �hnliche; aus der in der Seele wirksamen Vorstellung wird innerhalb der Seele eine der Bildung von Geistorganen dienliche Kraft. Und ber�cksichtigt mu� auch werden, da� das erste Bewu�tsein solcher inneren Kr�fte nur an so stark wirksamen Vorstellungen entz�ndet werden kann, wie es die gekennzeichneten Grenzvorstellungen sind, da� aber, wenn dieses Bewu�tsein f�r solche Kr�fte einmal erwacht ist, ihm in allerdings geringerem Ma�e auch andere Vorstellungen dienstbar sein k�nnen, um den eingeschlagenen Weg weiter zu gehen.

Zugleich weist dieser Vergleich auf etwas hin, das sich der anthroposophischen Forschung �ber das Wesen des Vorstellungslebens ergibt. Wie das Samenkorn, wenn es zum Nahrungsmittel verarbeitet wird, aus derjenigen Entwickelungsstr�mung herausgehoben wird, die in seiner ureigenen Wesenheit liegt und zur Bildung einer neuen Pflanze f�hrt, so wird die Vorstellung aus der ihr wesentlichen Entwickelungsrichtung abgelenkt, wenn sie von der vorstellenden Seele zur Nachbildung einer Sinneswahrnehmung verwendet wird. Die der Vorstellung durch ihr eigenes Wesen entsprechende Entwickelung ist die, in der Entwickelung der Seele als Kraft zu wirken. Ebenso wie man die der Pflanze eigenen Entwickelungsgesetze nicht findet, wenn man die Samen auf ihren Nahrungswert hin untersucht, ebenso wenig findet man das Wesen der Vorstellung, wenn man untersucht, inwiefern sie die nachbildende Erkenntnis der durch sie vermittelten Wirklichkeit hervorbringt. Es soll damit nicht gesagt sein, da� diese Untersuchung nicht angestellt werden k�nnte. Sie kann dies ebenso, wie diejenige �ber den Nahrungswert der Pflanzensamen. Aber wie man durch das letztere sich �ber etwas anderes aufkl�rt als �ber die Entwickelungsgesetze des Pflanzenwachstums, so erlangt man durch eine Erkenntnistheorie, welche die Vorstellungen auf ihren nachbildenden Erkenntniswert hin pr�ft, �ber etwas anderes Aufschlu� als �ber das Wesen des Vorstellungslebens. So wenig das Samenkorn es in seinem Wesen vorgezeichnet hat, Nahrung zu werden, so wenig liegt es im Wesen der Vorstellung, nachbildende Erkenntnis zu liefern. Ja, man kann sagen, wie die Verwendung als Nahrungsmittel etwas f�r das Samenkorn ganz �u�erliches ist, so ist es das erkenntnism��ige Nachbilden f�r die Vorstellungen. In Wahrheit ergreift in den Vorstellungen die Seele ihr eigenes sich entwickelndes Wesen. Und erst durch die eigene T�tigkeit der Seele geschieht es, da� die Vorstellungen zu Vermittlern der Erkenntnis einer Wirklichkeit werden.[8]

Die Frage nun, wie die Vorstellungen zu solchen Erkenntnisvermittlern werden, mu� die anthroposophische Beobachtung, welche sich der Geistorgane bedient, anders beantworten als die Erkenntnistheorien es tun, welche diese Beobachtung ablehnen. F�r diese anthroposophische Beobachtung ergibt sich das Folgende.

So wie die Vorstellungen ihrem ureigenen Wesen nach sind, bilden sie zwar einen Teil des Lebens der Seele; aber sie k�nnen nicht in der Seele bewu�t werden, so lange diese nicht ihre Geistorgane bewu�t gebraucht. Sie bleiben, so lange sie ihrem Eigenwesen nach lebendig sind, in der Seele unbewu�t. Die Seele lebt durch sie, aber sie kann nichts von ihnen wissen. Sie m�ssen ihr eigenes Leben herabd�mpfen, um bewu�te Seelenerlebnisse des gew�hnlichen Bewu�tseins zu werden. Diese Herabd�mpfung geschieht durch jede sinnliche Wahrnehmung. So kommt, wenn die Seele einen Sinneseindruck empf�ngt, eine Herabl�hmung des Vorstellungslebens zustande; und die herabgel�hmte Vorstellung erlebt die Seele bewu�t als den Vermittler einer Erkenntnis der �u�eren Wirklichkeit. Alle Vorstellungen, die von der Seele auf eine �u�ere Sinnes-Wirklichkeit bezogen werden, sind innere Geist-Erlebnisse, deren Leben herabged�mpft ist. In allem, das man �ber eine �u�ere Sinneswelt denkt, hat man es mit den ert�teten Vorstellungen zu tun. Nun geht aber das Vorstellungsleben nicht etwa verloren, sondern es f�hrt sein Dasein, getrennt von dem Gebiete des Bewu�tseins, in den nicht bewu�ten Sph�ren der Seele. Und da wird es von den Geistorganen wiedergefunden. So wie nun die abget�teten Vorstellungen von der Seele auf die Sinneswelt bezogen werden k�nnen, so die mit den Geistorganen erfa�ten lebendigen Vorstellungen auf die Geisteswelt. - Die oben gekennzeichneten Grenzvorstellungen sind diejenigen, die sich durch ihre eigene Wesenheit nicht abl�hmen lassen, daher widerstreben sie einer Beziehung zur Sinnes-Wirklichkeit. Eben dadurch werden sie zu Ausgangspunkten der Geistwahrnehmung.

Vorstellungen, die als lebendige von der Seele erfa�t werden, habe ich in meinen anthroposophischen Schriften imaginative Vorstellungen genannt. Man verkennt, was hier als �imaginativ� gemeint ist, wenn man es verwechselt mit der bildlichen Ausdrucksform, die angewendet werden mu�, um solche Vorstellungen entsprechend anzudeuten. Was da wirklich mit �imaginativ� gemeint ist, kann etwa in der folgenden Art verdeutlicht werden. Wenn jemand eine Sinneswahrnehmung hat, w�hrend ihn der �u�ere Gegenstand beeindruckt, dann hat die Wahrnehmung f�r ihn eine gewisse innere St�rke. Wenn er sich von dem Gegenstande abwendet, dann kann er sich in einer blo�en Innenvorstellung denselben vergegenw�rtigen. Aber die Vorstellung hat nur eine geringere innere St�rke. Sie ist im Verh�ltnis zu der bei Anwesenheit des �u�eren Gegenstandes wirksamen Vorstellung gewisserma�en schattenhaft. Wenn der Mensch f�r das gew�hnliche Bewu�tsein schattenhaft in seiner Seele vorhandene Vorstellungen beleben will, so durchtr�nkt er sie mit Nachkl�ngen an die Sinnesanschauung. Er macht die Vorstellung zum anschaulichen Bilde. Solche Bildvorstellungen sind nun gewi� nichts anderes als Ergebnisse aus dem Zusammenwirken des Vorstellens und des Sinneslebens. Die �imaginativen� Vorstellungen der Anthroposophie entstehen durchaus nicht in dieser Art. Die Seele mu�, um sie zustande zu bringen, so genau den inneren Vorgang der Vereinigung von Vorstellungsleben und Sinnes-Eindruck kennen, da� sie das Einflie�en der Sinneseindr�cke, beziehungsweise ihrer Nacherlebnisse, in das Vorstellungsleben ganz fern halten kann. Man bringt die Fernhaltung der Sinnes-Nach-Erlebnisse nur zustande, wenn man kennen gelernt hat, wie das Vorstellen von diesen Nacherlebnissen ergriffen wird. Erst dann ist man in der Lage, die Geistorgane lebendig zu verbinden mit dem Wesen des Vorstellens und dadurch die Eindr�cke der geistigen Wirklichkeit zu empfangen. Es wird dabei das Vorstellungsleben von einer ganz anderen Seite her durchdrungen als im Sinneswahrnehmen. Die Erlebnisse, die man dabei hat, sind wesentlich andere als die an den Sinneswahrnehmungen zu erfahrenden. Und doch gibt es eine M�glichkeit, �ber diese Erlebnisse sich auszudr�cken. Das kann in folgender Art geschehen. - Wenn der Mensch die Farbe Gelb wahrnimmt, so hat er in seiner Seele nicht blo� das Augenerlebnis, sondern ein gef�hlsartiges Mit-Erlebnis der Seele. Dieses kann f�r verschiedene Menschen eine verschiedene St�rke haben, ganz fehlen wird es niemals. Goethe hat in dem sch�nen Kapitel seiner Farbenlehre �ber �sinnlich-sittliche Wirkung der Farben� die Gef�hls-Nebenwirkungen f�r Rot, Gelb, Gr�n usw. sehr eindringlich beschrieben. Nimmt nun die Seele aus einem gewissen Gebiete des Geistes etwas wahr, so kann der Fall eintreten, da� diese geistige Wahrnehmung in ihr dasselbe gef�hlsm��ige Neben-Erlebnis hat, das bei der sinnlichen Wahrnehmung des Gelb auftritt. Man wei� dann, da� man dieses oder jenes geistige Erlebnis hat. Man hat dabei nat�rlich nicht in der Vorstellung dasselbe vor sich, was man in der sinnlichen Wahrnehmung der gelben Farbe vor sich hat. Aber man hat dasselbe Innenerlebnis als gef�hlsm��ige Nebenwirkung, das man hat, wenn die gelbe Farbe vor dem Auge ist. Man sagt dann: man nehme das Geist-Erlebnis als �gelb� wahr. Vielleicht k�nnte man, um sich genauer auszudr�cken, immer sagen: man nimmt etwas wahr, was wie �gelb� f�r die Seele ist. Doch sollte niemand einer so umst�ndlichen Redeweise bed�rfen, der aus der anthroposophlschen Literatur den Vorgang kennen gelernt hat, welcher zur geistigen Wahrnehmung f�hrt. Diese Literatur macht genugsam darauf aufmerksam, da� das der Geistwahrnehmung zug�ngliche Wesenhafte nicht so vor dem Geistorgane steht wie ein verd�nnter sinnlicher Gegenstand oder Vorgang, oder so, da� es wiedergegeben werden k�nnte durch Vorstellungen, die in gew�hnlicher Bedeutung sinnlich-anschauliche sind.

Wie die geistige Welt, die au�erhalb des Menschen liegt, so lernt die Seele durch ihre Geistorgane das geistige Wesen des Menschen selbst kennen. Anthroposophie beobachtet dieses geistige Wesen als Glied der geistigen Welt. Sie schreitet von der Beobachtung eines Teiles der geistigen Welt fort zu solchen Vorstellungen �ber den Menschen, welche ihr vergegenw�rtigen, was sich im Menschenleibe als geistiger Mensch offenbart. Die Anthropologie schreitet, von der entgegengesetzten Richtung kommend, ebenfalls zu Vorstellungen fort �ber das menschliche Wesen. Bildet die Anthroposophie die in obigen Ausf�hrungen gekennzeichneten Beobachtungsarten aus, dann gelangt sie zu Anschauungen �ber das geistige Wesen des Menschen, welches sich in der Sinneswelt in dem Leibe offenbart. Die Bl�te dieser Offenbarung ist das Bewu�tsein, das die Sinneseindr�cke in dem Vorstellungsdasein weiter bestehen l��t. Indem die Anthroposophie fortschreitet von den Erlebnissen der au�ermenschlichen geistigen Welt bis zum Menschen, findet sie denselben zuletzt als im Sinnesleibe lebend, und in demselben das Bewu�tsein von der sinnlichen Wirklichkeit entwickelnd. Das letzte, was sie auf ihrem Wege von dem Menschen findet, ist das lebendige Vorstellungswesen der Seele, das sie in zusammenh�ngenden imaginativen Vorstellungen auszudr�cken vermag. Dann kann sie noch, gewisserma�en am Ende ihres geisterforschenden Weges, den Blick weiter gebrauchend, schauen, wie sich das wesenhafte Vorstellungsleben durch die wahrnehmenden Sinne abl�hmt. In diesem abgel�hmten Vorstellungsleben hat sie, von der Geistseite her beleuchtet, den in der Sinneswelt lebenden Menschen, insofern er ein vorstellender ist, gekennzeichnet. Sie kommt auf diese Art zu einer Philosophie �ber den Menschen, als einem letzten Ergebnisse ihrer Forschungen. Was auf ihrem Wege vorher liegt, befindet sich rein im Geistgebiete. Sie kommt mit dem, was sich ihr auf ihrem Geisteswege ergeben hat, bei einer Kennzeichnung des in der Sinneswelt lebenden Menschen an.

Die Anthropologie erforscht die Reiche der Sinneswelt. Sie gelangt auf ihrem Wege fortschreitend ebenfalls bis zum Menschen. Es stellt sich ihr derselbe dar, wie er die Tatsachen der Sinneswelt in seiner Leibesorganisation so zusammenfa�t, da� aus dieser Zusammenfassung das Bewu�tsein entspringt, durch welches die �u�ere Wirklichkeit in Vorstellungen vergegenw�rtigt wird. Die Vorstellungen sieht der Anthropologe aus dem menschlichen Organismus entspringen. Indem er dieses beobachtet, mu� er in einem gewissen Sinne Halt machen. Einen inneren gesetzm��igen Zusammenhang des Vorstellens kann er nicht mit der blo�en Anthropologie erfassen. Wie die Anthroposophie am Ende ihres in geistigen Erfahrungen verlaufenden Weges noch hinblickt auf das geistige Wesen des Menschen, insofern dieses durch die Wahrnehmungen der Sinne sich offenbart, so mu� die Anthropologie, wenn sie am Ende ihres im Sinnesgebiete verlaufenden Weges ist, hinblicken nach der Art, wie sich der Sinnesmensch vorstellend an den Sinneswahrnehmungen bet�tigt. Und indem sie dieses beobachtet, findet sie diese Bet�tigung nicht von den Gesetzen des Leibeslebens, sondern von den Denkgesetzen der Logik getragen. Die Logik aber ist kein Gebiet, das auf dieselbe Art betreten werden kann, wie die anderen Gebiete der Anthropologie. In dem von Logik beherrschten Denken walten Gesetze, die nicht mehr als diejenigen der Leibesorganisation zu kennzeichnen sind. Indem sich der Mensch in ihnen bet�tigt, offenbart sich in ihm dasselbe Wesen, welches die Anthroposophie am Ende ihres Weges angetroffen hat. Nur sieht der Anthropologe dieses Wesen so, wie es von der Sinnesseite her beleuchtet ist. Er sieht die abgel�hmten Vorstellungen und gibt, indem er eine Logik zugesteht, auch das zu, da� in den Vorstellungen Gesetze aus einer Welt walten, die sich mit der sinnlichen wohl zur Einheit zusammenschlie�t, jedoch mit ihr nicht zusammenf�llt. In dem von dem logischen Wesen getragenen Vorstellungsleben offenbart sich dem Anthropologen der in die Geisteswelt hineinragende Sinnesmensch. Die Anthropologie kommt auf diesem Wege zu einer Philosophie �ber den Menschen, als einem letzten Ergebnisse ihrer Forschungen. Was auf ihrem Wege vorher liegt, befindet sich rein im Sinnesgebiete.

Sind die beiden Wege, der anthroposophische und der anthropologische, in rechtm��iger Art durchwandelt, so treffen sie in einem Punkte zusammen. Die Anthroposophie bringt bei diesem Zusammentreffen das Bild des lebendigen Geistmenschen mit und zeigt, wie dieser durch das Sinnensein das zwischen Geburt und Tod bestehende Bewu�tsein entwickelt, indem das �bersinnliche Bewu�tseinsleben abgel�hmt wird. Die Anthropologie zeigt bei dem Begegnen das Bild des im Bewu�tsein sich selbst erfassenden Sinnesmenschen, der aber aufragend in das geistige Dasein in dem Wesen lebt, das �ber Geburt und Tod hinaus liegt. Bei diesem Zusammentreffen ist eine wirklich fruchtbare Verst�ndigung zwischen Anthroposophie und Anthropologie m�glich. Diese mu� eintreten, wenn beide sich zur Philosophie �ber den Menschen fortbilden. Die aus der Anthroposophie hervorgegangene Philosophie �ber den Menschen wird zwar ein Bild desselben liefern, das mit ganz andern Mitteln gemalt ist als dasjenige, welches die vom Menschen handelnde, aus der Anthropologie hervorgegangene Philosophie gibt; aber die Betrachter der beiden Bilder werden sich mit ihren Vorstellungen in �hnlicher �bereinstimmung befinden k�nnen wie das negative Plattenbild des Photographen bei entsprechender Behandlung mit der positiven Photographie.

Es scheint mit diesen Ausf�hrungen gezeigt zu sein, in welchem Sinne die im Beginne dieser Schrift angedeutete Frage �ber die M�glichkeit einer fruchtbaren Diskussion zwischen Anthropologie und Anthroposophie ganz besonders vom anthroposophischen Gesichtspunkte aus bejahend zu beantworten ist.

 

 



[1] Vergleiche Max Dessoir: �Vom Jenseits der Seele�, die Geheimwissenschaften in kritischer Betrachtung. Der im besonderen �ber Anthroposophie handelnde Abschnitt umfa�t die Seiten 254-263. 12

[2] Obgleich dasjenige, was von mir als �Anthroposophie� vertreten wird, in seinen Ergebnissen auf einem ganz anderen Boden steht als die Ausf�hrungen Robert Zimmermanns in seinem 1881 erschienenen Buche �Anthroposophie�, so glaube ich doch den von Zimmermann gekennzeichneten Begriff des Unterschiedes von Anthroposophie und Anthropologie gebrauchen zu d�rfen. Zimmermann fa�t aber als den Inhalt seiner �Anthroposophie� nur die von der Anthropologie gelieferten Begriffe in ein abstraktes Schema. Ihm liegt das erkennende Schauen, auf dem die von mir gemeinte Anthroposophie ruht, nicht im Bereiche der wissenschaftlichen Forschungswege. Seine Anthroposophie unterscheidet sich von der Anthropologie nur dadurch, da� die erstere die von der letzteren erhaltenen Begriffe erst einem dem Herbartschen Philosophieren �hnlichen Verfahren unterwirft, bevor sie dieselben zum Inhalte ihres rein verstandesm��igen Ideen-Schemas macht.

[3] Eine ausf�hrlichere Darstellung und Rechtfertigung dieser Vorstellung von �Geistorganen� findet man in meinem Buche �Vom Menschenr�tsel� Seite 146 ff. und in meinen auf Goethes Weltanschauung bez�glichen Schriften.

[4] Die inneren Erlebnisse, welche von der Seele durchzumachen sind, um zu dem Gebrauch ihrer Geistorgane zu kommen, findet man in einer Reihe meiner Schriften geschildert, besonders in meinem Buche: �Wie erlangt man Erkenntnisse der h�heren Welten?� und im zweiten Teile meiner �Geheimwissenschaft�.

[5] Vergleiche Franz Brentano: �Untersuchungen zur Sinnespsychologie� (Leipzig, 1907), Seite 96 f.

[6] Genaueres �ber dieses Erwachen derjenigen seelischen F�higkeiten, welche im gew�hnlichen Bewu�tsein unerwacht sind, findet man in meinem Buche �Vom Menschenr�tsel� Seite 156 ff.

[7] Erkenntnisgrenzen wie die oben besprochenen treten nicht blo� in der geringen Zahl auf, in der sie manchem zum Bewu�tsein kommen; sie ergeben sich in gro�er Menge auf den Wegen, die das Nachdenken durch sein inneres Wesen einschlagen mu�, um in ein Verh�ltnis zur wahren Wirklichkeit zu kommen.

[8] Eine ausf�hrlichere Begr�ndung der in obigem gegebenen Gedanken findet man in dem letzten Abschnitt des 2. Bandes meiner �R�tsel der Philosophie�: �Skizzenhaft dargestellter Ausblick auf eine Anthroposophie� (Seiten 594-627).