Die Philosophie der Freiheit

Die Wirklichkeit der Freiheit

VIII
DIE FAKTOREN DES LEBENS


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Rekapitulieren wir das in den vorangehenden Kapiteln Gewonnene. Die Welt tritt dem Menschen als eine Vielheit gegen�ber, als eine Summe von Einzelheiten. Eine von diesen Einzelheiten, ein Wesen unter Wesen, ist er selbst. Diese Gestalt der Welt bezeichnen wir schlechthin als gegeben, und insofern wir sie nicht durch bewu�te T�tigkeit entwickeln, sondern vorfinden, als Wahrnehmung. Innerhalb der Welt der Wahrnehmungen nehmen wir uns selbst wahr. Diese Selbstwahrnehmung bliebe einfach als eine unter den vielen anderen Wahrnehmungen stehen, wenn nicht aus der Mitte dieser Selbstwahrnehmung etwas auftauchte, das sich geeignet erweist, die Wahrnehmungen �berhaupt, also auch die Summe aller anderen Wahrnehmungen mit der unseres Selbst zu verbinden. Dieses auftauchende Etwas ist nicht mehr blo�e Wahrnehmung; es wird auch nicht gleich den Wahrnehmungen einfach vorgefunden. Es wird durch T�tigkeit hervorgebracht. Es erscheint zun�chst an das gebunden, was wir als unser Selbst wahrnehmen. Seiner inneren Bedeutung nach greift es aber �ber das Selbst hinaus. Es f�gt den einzelnen Wahrnehmungen ideelle Bestimmtheiten bei, die sich aber aufeinander beziehen, die in einem Ganzen gegr�ndet sind. Das durch Selbstwahrnehmung Gewonnene bestimmt es auf gleiche Weise ideell wie alle andern Wahrnehmungen und stellt es als Subjekt oder �Ich� den Objekten gegen�ber. Dieses Etwas ist das Denken, und die ideellen Bestimmtheiten sind die Begriffe und Ideen. Das Denken �u�ert sich daher zun�chst an der Wahrnehmung des Selbst; ist aber nicht blo� subjektiv; denn das Selbst bezeichnet sich

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erst mit Hilfe des Denkens als Subjekt. Diese gedankliche Beziehung auf sich selbst ist eine Lebensbestimmung unserer Pers�nlichkeit. Durch sie f�hren wir ein rein ideelles Dasein. Wir f�hlen uns durch sie als denkende Wesen. Diese Lebensbestimmung bliebe eine rein begriffliche (logische), wenn keine anderen Bestimmungen unseres Selbst hinzutr�ten. Wir w�ren dann Wesen, deren Leben sich in der Herstellung rein ideeller Beziehungen zwischen den Wahrnehmungen untereinander und den letztem und uns selbst ersch�pfte. Nennt man die Herstellung eines solchen gedanklichen Verh�ltnisses ein Erkennen, und den durch dieselbe gewonnenen Zustand unseres Selbst Wissen, so m��ten wir uns beim Eintreffen der obigen Voraussetzung als blo� erkennende oder wissende Wesen ansehen.

Die Voraussetzung trifft aber nicht zu. Wir beziehen die Wahrnehmungen nicht blo� ideell auf uns, durch den Begriff, sondern auch noch durch das Gef�hl, wie wir gesehen haben. Wir sind also nicht Wesen mit blo� begrifflichem Lebensinhalt. Der naive Realist sieht sogar in dem Gef�hlsleben ein wirklicheres Leben der Pers�nlichkeit als in dem rein ideellen Element des Wissens. Und er hat von seinem Standpunkte aus ganz recht, wenn er in dieser Weise sich die Sache zurechtlegt. Das Gef�hl ist auf subjektiver Seite zun�chst genau dasselbe, was die Wahrnehmung auf objektiver Seite ist. Nach dem Grundsatz des naiven Realismus: Alles ist wirklich, was wahrgenommen werden kann, ist daher das Gef�hl die B�rgschaft der Realit�t der eigenen Pers�nlichkeit. Der hier gemeinte Monismus mu� aber dem Gef�hle die gleiche Erg�nzung angedeihen lassen, die er f�r die Wahrnehmung notwendig erachtet, wenn sie als vollkommeneWirklichkeit sich darstellen soll. F�r diesenMonis

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mus ist das Gef�hl ein unvollst�ndiges Wirkliches, das in der ersten Form, in der es uns gegeben ist, seinen zweiten Faktor, den Begriff oder die Idee, noch nicht mitenth�lt. Deshalb tritt im Leben auch �berall das F�hlen gleichwie das Wahrnehmen vor dem Erkennen auf. Wir f�hlen uns zuerst als Daseiende; und im Laufe der allm�hlichen Entwickelung ringen wir uns erst zu dem Punkte durch, wo uns in dem dumpf gef�hlten eigenen Dasein der Begriff unseres Selbst aufgeht. Was f�r uns erst sp�ter hervortritt, ist aber urspr�nglich mit dem Gef�hle unzertrennlich verbunden. Der naive Mensch ger�t durch diesen Umstand auf den Glauben: in dem F�hlen stelle sich ihm das Dasein unmittelbar, in dem Wissen nur mittelbar dar. Die Ausbildung des Gef�hlslebens wird ihm daher vor allen andern Dingen wichtig erscheinen. Er wird den Zusammenhang der Welt erst erfa�t zu haben glauben, wenn er ihn in sein F�hlen aufgenommen hat. Er sucht nicht das Wissen, sondern das F�hlen zum Mittel der Erkenntnis zu machen. Da das Gef�hl etwas ganz Individuelles ist, etwas der Wahrnehmung gleichkommendes, so macht der Gef�hlsphilosoph ein Prinzip, das nur innerhalb seiner Pers�nlichkeit eine Bedeutung hat, zum Weltprinzipe. Er sucht die ganze Welt mit seinem eigenen Selbst zu durchdringen. Was der hier gemeinte Monismus im Begriffe zu erfassen strebt, das sucht der Gef�hlsphilosoph mit dem Gef�hle zu erreichen, und sieht dieses sein Zusammensein mit den Objekten als das unmittelbarere an.

Die hiermit gekennzeichnete Richtung, die Philosophie des Gef�hls, wird oft als Mystik bezeichnet. Der Irrtum einer blo� auf das Gef�hl gebauten mystischen Anschauungsweise besteht darinnen, da� sie erleben will, was sie

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wissen soll, da� sie ein Individuelles, das Gef�hl, zu einem Universellen erziehen will.

Das F�hlen ist ein rein individueller Akt, die Beziehung der Au�enwelt auf unser Subjekt, insofern diese Beziehung ihren Ausdruck findet in einem blo� subjektiven Erleben.

Es gibt noch eine andere �u�erung der menschlichen Pers�nlichkeit. Das Ich lebt durch sein Denken das allgemeine Weltleben mit; es bezieht durch dasselbe rein ideell (begrifflich) die Wahrnehmungen auf sich, sich auf die Wahrnehmungen. Im Gef�hl erlebt es einen Bezug der Objekte auf sein Subjekt; im Willen ist das Umgekehrte der Fall. Im Wollen haben wir ebenfalls eine Wahrnehmung vor uns, n�mlich die des individuellen Bezugs unseres Selbstes auf das Objektive. Was am Wollen nicht rein ideeller Faktor ist, das ist ebenso blo� Gegenstand des Wahrnehmens wie das bei irgendeinem Dinge der Au�enwelt der Fall ist.

Dennoch wird der naive Realismus auch hier wieder ein weit wirklicheres Sein vor sich zu haben glauben, als durch das Denken erlangt werden kann. Er wird in dem Willen ein Element erblicken, in dem er ein Geschehen, ein Verursachen unmittelbar gewahr wird, im Gegensatz zum Denken, das das Geschehen erst in Begriffe fa�t. Was das Ich durch seinen Willen vollbringt, stellt f�r eine solche Anschauungsweise einen Proze� dar, der unmittelbar erlebt wird. In dem Wollen glaubt der Bekenner dieser Philosophie das Weltgeschehen wirklich an einem Zipfel erfa�t zu haben. W�hrend er die anderen Geschehnisse nur durch Wahrnehmen von au�en verfolgen kann, glaubt er in seinem Wollen ein reales Geschehen ganz unmittelbar zu erleben. Die Seinsform, in der ihm der Wille innerhalb des Selbst erscheint, wird f�r ihn zu einem Realprinzip der

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Wirklichkeit. Sein eigenes Wollen erscheint ihm als Spezialfall des allgemeinen Weltgeschehens; dieses letztere somit als allgemeines Wollen. Der Wille wird zum Weltprinzip wie in der Gef�hlsmystik das Gef�hl zum Erkenntnisprinzip. Diese Anschauungsweise ist Willensphilosophie (Thelismus). Was sich nur individuell erleben l��t, das wird durch sie zum konstituierenden Faktor der Welt gemacht.

So wenig die Gef�hlsmystik Wissenschaft genannt werden kann, so wenig kann es die Willensphilosophie. Denn beide behaupten mit dem begrifflichen Durchdringen der Welt nicht auskommen zu k�nnen. Beide fordern neben dem Idealprinzip des Seins noch ein Realprinzip. Das mit einem gewissen Recht. Da wir aber f�r diese sogenannten Realprinzipien nur das Wahrnehmen als Auffassungsmittel haben, so ist die Behauptung der Gef�hlsmystik und der Willensphilosophie identisch mit der Ansicht: Wir haben zwei Quellen der Erkenntnis: die des Denkens und die des Wahrnehmens, welches letztere sich im Gef�hl und Willen als individuelles Erleben darstellt. Da die Ausfl�sse der einen Quelle, die Erlebnisse, von diesen Weltanschauungen nicht direkt in die der andern, des Denkens, aufgenommen werden k�nnen, so bleiben die beiden Erkenntnisweisen, Wahrnehmen und Denken ohne h�here Vermittlung nebeneinander bestehen. Neben dem durch das Wissen erreichbaren Idealprinzip soll es noch ein zu erlebendes nicht im Denken erfa�bares Realprinzip der Welt geben. Mit andern Worten: die Gef�hlsmystik und Willensphilosophie sind naiver Realismus, weil sie dem Satz huldigen: Das unmittelbar Wahrgenommene ist wirklich. Sie begehen dem urspr�nglichen naiven Realismus gegen�ber nur noch die Inkonsequenz, da� sie eine bestimmte Form des Wahrnehmens

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(das F�hlen, beziehungsweise Wollen) zum alleinigen Erkenntnismittel des Seins machen, w�hrend sie das doch nur k�nnen, wenn sie im allgemeinen dem Grundsatz huldigen: Das Wahrgenommene ist wirklich. Sie m��ten somit auch dem �u�eren Wahrnehmen einen gleichen Erkenntniswert zuschreiben.

Die Willensphilosophie wird zum metaphysischen Realismus, wenn sie den Willen auch in die Daseinssph�ren verlegt, in denen ein unmittelbares Erleben desselben nicht wie in dem eigenen Subjekt m�glich ist. Sie nimmt ein Prinzip au�er dem Subjekt hypothetisch an, f�r das das subjektive Erleben das einzige Wirklichkeitskriterium ist. Als metaphysischer Realismus verf�llt die Willensphilosophie der im vorhergehenden Kapitel angegebenen Kritik, welche das widerspruchsvolle Moment jedes metaphysischen Realismus �berwinden und anerkennen mu�, da� der Wille nur insofern ein allgemeines Weltgeschehen ist, als er sich ideell auf die �brige Welt bezieht.

Zusatz zur Neuausgabe 1918. Die Schwierigkeit, das Denken in seinem Wesen beobachtend zu erfassen, liegt darin, da� dieses Wesen der betrachtenden Seele nur allzu leicht schon entschl�pft ist, wenn diese es in die Richtung ihrer Aufmerksamkeit bringen will. Dann bleibt ihr nur das tote Abstrakte, die Leichname des lebendigen Denkens. Sieht man nur auf dieses Abstrakte, so wird man leicht ihm gegen�ber sich gedr�ngt finden, in das �lebensvolle� Element der Gef�hlsmystik, oder auch der Willensmetaphysik einzutreten. Man wird es absonderlich finden, wenn jemand in �blo�en Gedanken� das Wesen der Wirklichkeit ergreifen will. Aber wer sich dazu bringt, das Leben im Denken wahrhaft zu haben, der gelangt zur Einsicht, da� dem inne-

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ren Reichtum und der in sich ruhenden, aber zugleich in sich bewegten Erfahrung innerhalb dieses Lebens das Weben in blo�en Gef�hlen oder das Anschauen des Willenselementes nicht einmal verglichen werden kann, geschweige denn, da� diese �ber jenes gesetzt werden d�rften. Gerade von diesem Reichtum, von dieser inneren F�lle des Erlebens r�hrt es her, da� sein Gegenbild in der gew�hnlichen Seeleneinstellung tot, abstrakt aussieht. Keine andere menschliche Seelenbet�tigung wird so leicht zu verkennen sein wie das Denken. Das Wollen, das F�hlen, sie erwarmen die Menschenseele auch noch im Nacherleben ihres Ursprungszustandes. Das Denken l��t nur allzuleicht in diesem Nacherleben kalt; es scheint das Seelenleben auszutrocknen. Doch dies ist eben nur der stark sich geltend machende Schatten seiner lichtdurchwobenen, warm in die Welterscheinungen untertauchenden Wirklichkeit. Dieses Untertauchen geschieht mit einer in der Denkbet�tigung selbst dahinflie�enden Kraft, welche Kraft der Liebe in geistiger Art ist. Man darf nicht einwendend sagen, wer so Liebe im t�tigen Denken sieht, der verlegt ein Gef�hl, die Liebe, in dasselbe. Denn dieser Einwand ist in Wahrheit eine Best�tigung des hier geltend Gemachten. Wer n�mlich zum wesenhaften Denken sich hinwendet, der findet in demselben sowohl Gef�hl wie Willen, die letztern auch in den Tiefen ihrer Wirklichkeit; wer von dem Denken sich ab, und nur dem �blo�en� F�hlen und Wollen zuwendet, der verliert aus diesen die wahre Wirklichkeit. Wer im Denken intuitiv erleben will, der wird auch dem gef�hlsm��igen und willensartigen Erleben gerecht; nicht aber kann gerecht sein gegen die intuitiv-denkerische Durchdringung des Daseins die Gef�hlsmystik und die Willensmetaphysik. Die letztem werden nur allzuleicht zu dem

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Urteil kommen, da� sie im Wirklichen stehen; der intuitiv Denkende aber gef�hllos und wirklichkeitsfremd in �abstrakten Gedanken� ein schattenhaftes, kaltes Weltbild formt.

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