Die Philosophie der Freiheit

Wissenschaft der Freiheit

IV
DIE WELT ALS WAHRNEHMUNG


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Durch das Denken entstehen Begriffe und Ideen. Was ein Begriff ist, kann nicht mit Worten gesagt werden. Worte k�nnen nur den Menschen darauf aufmerksam machen, da� er Begriffe habe. Wenn jemand einen Baum sieht, so reagiert sein Denken auf seineBeobachtung; zu demGegenstande tritt ein ideelles Gegenst�ck hinzu, und er betrachtet den Gegenstand und das ideelle Gegenst�ck als zusammengeh�rig.Wenn der Gegenstand aus seinem Beobachtungsfelde verschwindet, so bleibt nur das ideelle Gegenst�ck davon zur�ck. Das letztere ist der Begriff des Gegenstandes. Je mehr sich unsere Erfahrung erweitert, desto gr��er wird die Summe unserer Begriffe. Die Begriffe stehen aber durchaus nicht vereinzelt da. Sie schlie�en sich zu einem gesetzm��igen Ganzen zusammen. Der Begriff �Organismus� schlie�t sich zum Beispiel an die andern: �gesetzm��ige Entwickelung, Wachstum� an. Andere an Einzeldingen gebildete Begriffe fallen v�llig in eins zusammen. Alle Begriffe, die ich mir von L�wen bilde, fallen in den Gesamtbegriff �L�we� zusammen. Auf diese Weise verbinden sich die einzelnen Begriffe zu einem geschlossenen Begriffssystem, in dem jeder seine besondere Stelle hat. Ideen sind qualitativ von Begriffen nicht verschieden. Sie sind nur inhaltsvollere, ges�ttigtere und umfangreichere Begriffe. Ich mu� einen besonderen Wert darauf legen, da� hier an dieser Stelle beachtet werde, da� ich als meinen Ausgangspunkt das Denken bezeichnet habe und nicht Begriffe und Ideen, die erst durch das Denken gewonnen werden. Diese setzen das Denken bereits voraus. Es kann daher, was ich in bezug auf die in sich selbst ruhende, durch

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nichts bestimmte Natur des Denkens gesagt habe, nicht einfach auf die Begriffe �bertragen werden. (Ich bemerke das hier ausdr�cklich, weil hier meine Differenz mit Hegel liegt. Dieser setzt den Begriff als Erstes und Urspr�ngliches.)

Der Begriff kann nicht aus der Beobachtung gewonnen werden. Das geht schon aus dem Umstande hervor, da� der heranwachsende Mensch sich langsam und allm�hlich erst die Begriffe zu den Gegenst�nden bildet, die ihn umgeben. Die Begriffe werden zu der Beobachtung hinzugef�gt.

Ein vielgelesener Philosoph der Gegenwart, Herbert Spencer, schildert den geistigen Proze�, den wir gegen�ber der Beobachtung vollziehen, folgenderma�en:

�Wenn wir an einem Septembertag durch die Felder wandelnd, wenige Schritte vor uns ein Ger�usch h�ren und an der Seite des Grabens, von dem es herzukommen schien, das Gras in Bewegung sehen, so werden wir wahrscheinlich auf die Stelle losgehen, um zu erfahren, was das Ger�usch und die Bewegung hervorbrachte. Bei unserer Ann�herung flattert ein Rebhuhn in den Graben, und damit ist unsere Neugierde befriedigt: wir haben, was wir eine Erkl�rung der Erscheinungen nennen. Diese Erkl�rung l�uft, wohlgemerkt, auf folgendes hinaus: weil wir im Leben unendlich oft erfahren haben, da� eine St�rung der ruhigen Lage kleiner K�rper die Bewegung anderer zwischen ihnen befindlicher K�rper begleitet, und weil wir deshalb die Beziehungen zwischen solchen St�rungen und solchen Bewegungen verallgemeinert haben, so halten wir diese besondere St�rung f�r erkl�rt, sobald wir finden, da� sie ein Beispiel eben dieser Beziehung darbietet.� Genauer besehen stellt sich die Sache ganz anders dar, als sie hier beschrieben ist. Wenn ich ein Ger�usch h�re, so suche ich zun�chst den

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Begriff f�r diese Beobachtung. Dieser Begriff erst weist mich �ber das Ger�usch hinaus. Wer nicht weiter nachdenkt, der h�rt eben das Ger�usch und gibt sich damit zufrieden. Durch mein Nachdenken aber ist mir klar, da� ich ein Ger�usch als Wirkung aufzufassen habe. Also erst wenn ich den Begriff der Wirkung mit der Wahrnehmung des Ger�usches verbinde, werde ich veranla�t, �ber die Einzelbeobachtung hinauszugehen und nach der Ursache zu suchen. Der Begriff der Wirkung ruft den der Ursache hervor, und ich suche dann nach dem verursachenden Gegenstande, den ich in der Gestalt des Rebhuhns finde. Diese Begriffe, Ursache und Wirkung, kann ich aber niemals durch blo�e Beobachtung, und erstrecke sie sich auf noch so viele F�lle, gewinnen. Die Beobachtung fordert das Denken heraus, und erst dieses ist es, das mir den Weg weist, das einzelne Erlebnis an ein anderes anzuschlie�en.

Wenn man von einer �streng objektiven Wissenschaft� fordert, da� sie ihren Inhalt nur der Beobachtung entnehme, so mu� man zugleich fordern, da� sie auf alles Denken verzichte. Denn dieses geht seiner Natur nach �ber das Beobachtete hinaus.

Nun ist es am Platze, von dem Denken auf das denkende Wesen �berzugehen. Denn durch dieses wird das Denken mit der Beobachtung verbunden. Das menschliche Bewu�tsein ist der Schauplatz, wo Begriff und Beobachtung einander begegnen und wo sie miteinander verkn�pft werden. Dadurch ist aber dieses (menschliche) Bewu�tsein zugleich charakterisiert. Es ist der Vermittler zwischen Denken und Beobachtung. Insoferne der Mensch einen Gegenstand beobachtet, erscheint ihm dieser als gegeben, insoferne er denkt, erscheint er sich selbst als t�tig. Er betrachtet den Gegen

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stand als Objekt, sich selbst als das denkende Subjekt. Weil er sein Denken auf die Beobachtung richtet, hat er Bewu�tsein von den Objekten; weil er sein Denken auf sich richtet, hat er Bewu�tsein seiner selbst oder Selbstbewu�tsein. Das menschliche Bewu�tsein mu� notwendig zugleich Selbstbewu�tsein sein, weil es denkendes Bewu�tsein ist. Denn wenn das Denken den Blick auf seine eigene T�tigkeit richtet, dann hat es seine ureigene Wesenheit, also sein Subjekt, als Objekt zum Gegenstande.

Nun darf aber nicht �bersehen werden, da� wir uns nur mit Hilfe des Denkens als Subjekt bestimmen und uns den Objekten entgegensetzen k�nnen. Deshalb darf das Denken niemals als eine blo� subjektive T�tigkeit aufgefa�t werden. Das Denken ist jenseits von Subjekt und Objekt. Es bildet diese beiden Begriffe ebenso wie alle anderen. Wenn wir als denkendes Subjekt also den Begriff auf ein Objekt beziehen, so d�rfen wir diese Beziehung nicht als etwas blo� Subjektives auffassen. Nicht das Subjekt ist es, welches die Beziehung herbeif�hrt, sondern das Denken. Das Subjekt denkt nicht deshalb, weil es Subjekt ist; sondern es erscheint sich als ein Subjekt, weil es zu denken vermag. Die T�tigkeit, die der Mensch als denkendes Wesen aus�bt, ist also keine blo� subjektive, sondern eine solche, die weder subjektiv noch objektiv ist, eine �ber diese beiden Begriffe hinausgehende. Ich darf niemals sagen, da� mein individuelles Subjekt denkt; dieses lebt vielmehr selbst von des Denkens Gnaden. Das Denken ist somit ein Element, das mich �ber mein Selbst hinausf�hrt und mit den Objekten verbindet. Aber es trennt mich zugleich von ihnen, indem es mich ihnen als Subjekt gegen�berstellt.

Darauf beruht die Doppelnatur des Menschen: er denkt 60

und umschlie�t damit sich selbst und die �brige Welt; aber er mu� sich mittels des Denkens zugleich als ein den Dingen gegen�berstehendes Individuum bestimmen.

Das n�chste wird nun sein, uns zu fragen: Wie kommt das andere Element, das wir bisher blo� als Beobachtungsobjekt bezeichnet haben, und das sich mit dem Denken im Bewu�tsein begegnet, in das letztere?

Wir m�ssen, um diese Frage zu beantworten, aus unserem Beobachtungsfelde alles aussondern, was durch das Denken bereits in dasselbe hineingetragen worden ist. Denn unser jeweiliger Bewu�tseinsinhalt ist immer schon mit Begriffen in der mannigfachsten Weise durchsetzt.

Wir m�ssen uns vorstellen, da� ein Wesen mit vollkommen entwickelter menschlicher Intelligenz aus dem Nichts entstehe und der Welt gegen�bertrete. Was es da gewahr w�rde, bevor es das Denken in T�tigkeit bringt, das ist der reine Beobachtungsinhalt. Die Welt zeigte dann diesem Wesen nur das blo�e zusammenhanglose Aggregat von Empfindungsobjekten: Farben, T�ne, Druck, W�rme, Geschmacks, und Geruchsempfindungen; dann Lust und Unlustgef�hle. Dieses Aggregat ist der Inhalt der reinen, gedankenlosen Beobachtung. Ihm gegen�ber steht das Denken, das bereit ist, seine T�tigkeit zu entfalten, wenn sich ein Angriffspunkt dazu findet. Die Erfahrung lehrt bald, da� er sich findet.DasDenken ist imstande, F�den zu ziehen von einem Beobachtungselement zum andern. Es verkn�pft mit diesen Elementen bestimmte Begriffe und bringt sie dadurch in ein Verh�ltnis. Wir haben oben bereits gesehen, wie ein uns begegnendes Ger�usch mit einer anderen Beobachtung dadurch verbunden wird, da� wir das erstere als Wirkung der letzteren bezeichnen.

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Wenn wir uns nun daran erinnern, da� die T�tigkeit des Denkens durchaus nicht als eine subjektive aufzufassen ist, so werden wir auch nicht versucht sein zu glauben, da� solche Beziehungen, die durch das Denken hergestellt sind, blo� eine subjektive Geltung haben.

Es wird sich jetzt darum handeln, durch denkende �berlegung die Beziehung zu suchen, die der oben angegebene unmittelbar gegebene Beobachtungsinhalt zu unserem bewu�ten Subjekt hat.

Bei dem Schwanken des Sprachgebrauches erscheint es mir geboten, da� ich mich mit meinem Leser �ber den Gebrauch eines Wortes verst�ndige, das ich im folgenden anwenden mu�. Ich werde die unmittelbaren Empfindungsobjekte, die ich oben genannt habe, insoferne das bewu�te Subjekt von ihnen durch Beobachtung Kenntnis nimmt, Wahrnehmungen nennen. Also nicht den Vorgang der Beobachtung, sondern das Objekt dieser Beobachtung bezeichne ich mit diesem Namen.

Ich w�hle den Ausdruck Empfindung nicht, weil dieser in der Physiologie eine bestimmte Bedeutung hat, die enger ist als die meines Begriffes von Wahrnehmung. Ein Gef�hl in mir selbst kann ich wohl als Wahrnehmung, nicht aber als Empfindung im physiologischen Sinne bezeichnen. Auch von meinem Gef�hle erhalte ich dadurch Kenntnis, da� es Wahrnehmung f�r mich wird. Und die Art, wie wir durch Beobachtung Kenntnis von unserem Denken erhalten, ist eine solche, da� wir auch das Denken in seinem ersten Auftreten f�r unser Bewu�tsein Wahrnehmung nennen k�nnen.

Der naive Mensch betrachtet seine Wahrnehmungen in dem Sinne, wie sie ihm unmittelbar erscheinen, als Dinge, die ein von ihm ganz unabh�ngiges Dasein haben. Wenn er

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einen Baum sieht, so glaubt er zun�chst, da� dieser in der Gestalt, die er sieht, mit den Farben, die seine Teile haben usw., dort an dem Orte stehe, wohin der Blick gerichtet ist. Wenn derselbe Mensch morgens die Sonne als eine Scheibe am Horizonte erscheinen sieht und den Lauf dieser Scheibe verfolgt, so ist er der Meinung, da� das alles in dieser Weise (an sich) bestehe und vorgehe, wie er es beobachtet. Er h�lt so lange an diesem Glauben fest, bis er anderen Wahrnehmungen begegnet, die jenen widersprechen. Das Kind, das noch keine Erfahrungen �ber Entfernungen hat, greift nach dem Monde und stellt das, was es nach dem ersten Augenschein f�r wirklich gehalten hat, erst richtig, wenn eine zweite Wahrnehmung sich mit der ersten im Widerspruch befindet. Jede Erweiterung des Kreises meiner Wahrnehmungen n�tigt mich, mein Bild der Welt zu berichtigen. Das zeigt sich im t�glichen Leben ebenso wie in der Geistes-entwickelung der Menschheit. Das Bild, das sich die Alten von der Beziehung der Erde zu der Sonne und den andern Himmelsk�rpern machten, mu�te von Kopernikus durch ein anderes ersetzt werden, weil es mit Wahrnehmungen, die fr�her unbekannt waren, nicht zusammenstimmte. Als Dr. Franz einen Blindgeborenen operierte, sagte dieser, da� er sich vor seiner Operation durch die Wahrnehmungen seines Tastsinnes ein ganz anderes Bild von der Gr��e der Gegenst�nde gemacht habe. Er mu�te seine Tastwahrnehmungen durch seine Gesichtswahrnehmungen berichtigen.

Woher kommt es, da� wir zu solchen fortw�hrenden Richtigstellungen unserer Beobachtungen gezwungen sind?

Eine einfache �berlegung bringt die Antwort auf diese Frage. Wenn ich an dem einen Ende einer Allee stehe, so erscheinen mir die B�ume an dem andern, von mir entfern

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ten Ende kleiner und n�her aneinanderger�ckt als da, wo ich stehe. Mein Wahrnehmungsbild wird ein anderes, wenn ich den Ort �ndere, von dem aus ich meine Beobachtungen mache. Es ist also in der Gestalt, in der es an mich herantritt, abh�ngig von einer Bestimmung, die nicht an dem Objekte h�ngt, sondern die mir, dem Wahrnehmenden, zukommt. Es ist f�r eine Allee ganz gleichg�ltig, wo ich stehe. Das Bild aber, das ich von ihr erhalte, ist wesentlich davon abh�ngig. Ebenso ist es f�r die Sonne und das Planetensystem gleichg�ltig, da� die Menschen sie gerade von der Erde aus ansehen. Das Wahrnehmungsbild aber, das sich diesen darbietet, ist durch diesen ihren Wohnsitz bestimmt. Diese Abh�ngigkeit des Wahrnehmungsbildes von unserem Beobachtungsorte ist diejenige, die am leichtesten zu durchschauen ist. Schwieriger wird die Sache schon, wenn wir die Abh�ngigkeit unserer Wahrnehmungswelt von unserer leiblichen und geistigen Organisation kennen lernen. Der Physiker zeigt uns, da� innerhalb des Raumes, in dem wir einen Schall h�ren, Schwingungen der Luft stattfinden, und da� auch der K�rper, in dem wir den Ursprung des Schalles suchen, eine schwingende Bewegung seiner Teile aufweist. Wir nehmen diese Bewegung nur als Schall wahr, wenn wir ein normal organisiertes Ohr haben. Ohne ein solches bliebe uns die ganze Welt ewig stumm. Die Physiologie belehrt uns dar�ber, da� es Menschen gibt, die nichts wahrnehmen von der herrlichen Farbenpracht, die uns umgibt. Ihr Wahrnehmungsbild weist nur Nuancen von Hell und Dunkel auf. Andere nehmen nur eine bestimmte Farbe, zum Beispiel das Rot, nicht wahr. Ihrem Weltbilde fehlt dieser Farbenton, und es ist daher tats�chlich ein anderes als das eines Durchschnittsmenschen. Ich m�chte die Abh�ngigkeit meines

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Wahrnehmungsbildes von meinem Beobachtungsorte eine mathematische, die von meiner Organisation eine qualitative nennen. Durch jene werden die Gr��enverh�ltnisse und gegenseitigen Entfernungen meiner Wahrnehmungen bestimmt, durch diese die Qualit�t derselben. Da� ich eine rote Fl�che rot sehe -- diese qualitative Bestimmung -- h�ngt von der Organisation meines Auges ab.

Meine Wahrnehmungsbilder sind also zun�chst subjektiv. Die Erkenntnis von dem subjektiven Charakter unserer Wahrnehmungen kann leicht zu Zweifeln dar�ber f�hren, ob �berhaupt etwas Objektives denselben zum Grunde liegt. Wenn wir wissen, da� eine Wahrnehmung, zum Beispiel die der roten Farbe, oder eines bestimmten Tones nicht m�glich ist ohne eine bestimmte Einrichtung unseres Organismus, so kann man zu dem Glauben kommen, da� dieselbe, abgesehen von unserem subjektiven Organismus, keinen Bestand habe, da� sie ohne den Akt des Wahrnehmens, dessen Objekt sie ist, keine Art des Daseins hat. Diese Ansicht hat in George Berkeley einen klassischen Vertreter gefunden, der der Meinung war, da� der Mensch von dem Augenblicke an, wo er sich derBedeutung des Subjekts f�r dieWahrnehmung bewu�t geworden ist, nicht mehr an eine ohne den bewu�ten Geist vorhandene Welt glauben k�nne. Er sagt: �Einige Wahrheiten liegen so nahe und sind so einleuchtend, da� man nur die Augen zu �ffnen braucht, um sie zu sehen. F�r eine solche halte ich den wichtigen Satz, da� der ganze Chor am Himmel und alles, was zur Erde geh�rt, mit einem Worte alle die K�rper, die den gewaltigen Bau der Welt zusammensetzen, keine Subsistenz au�erhalb des Geistes haben, da� ihr Sein in ihrem Wahrgenommen -- oder Erkanntwerden besteht, da� sie folglich, solange sie nicht

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wirklich von mir wahrgenommen werden oder in meinem Bewu�tsein oder dem eines anderen geschaffenen Geistes existieren, entweder �berhaupt keine Existenz haben oder in dem Bewu�tsein eines ewigen Geistes existieren.� F�r diese Ansicht bleibt von der Wahrnehmung nichts mehr �brig, wenn man von dem Wahrgenommenwerden absieht. Es gibt keine Farbe, wenn keine gesehen, keinen Ton, wenn keiner geh�rt wird. Ebensowenig wie Farbe und Ton existieren Ausdehnung, Gestalt und Bewegung au�erhalb des Wahrnehmungsaktes. Wir sehen nirgends blo�e Ausdehnung oder Gestalt, sondern diese immer mit Farbe oder andern unbestreitbar von unserer Subjektivit�t abh�ngigen Eigenschaften verkn�pft. Wenn die letzteren mit unserer Wahrnehmung verschwinden, so mu� das auch bei den ersteren der Fall sein, die an sie gebunden sind.

Dem Einwand, da�, wenn auch Figur, Farbe, Ton usw. keine andere Existenz als die innerhalb des Wahrnehmungsaktes haben, es doch Dinge geben m�sse, die ohne das Bewu�tsein da sind und denen die bewu�ten Wahrnehmungsbilder �hnlich seien, begegnet die geschilderte Ansicht damit, da� sie sagt: eine Farbe kann nur �hnlich einer Farbe, eine Figur �hnlich einer Figur sein. Unsere Wahrnehmungen k�nnen nur unseren Wahrnehmungen, aber keinerlei anderen Dingen �hnlich sein. Auch was wir einen Gegenstand nennen, ist nichts anderes als eine Gruppe von Wahrnehmungen, die in einer bestimmten Weise verbunden sind. Nehme ich von einem Tische Gestalt, Ausdehnung, Farbe usw., kurz alles, was nur meine Wahrnehmung ist, weg, so bleibt nichts mehr �brig. Diese Ansicht f�hrt, konsequent verfolgt, zu der Behauptung: Die Objekte meiner Wahrnehmungen sind nur durch mich vorhanden, und zwar nur

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insoferne und solange ich sie wahrnehme; sie verschwinden mit dem Wahrnehmen und haben keinen Sinn ohne dieses. Au�er meinen Wahrnehmungen wei� ich aber von keinen Gegenst�nden und kann von keinen wissen.

Gegen diese Behauptung ist so lange nichts einzuwenden, als ich blo� im allgemeinen den Umstand in Betracht ziehe, da� die Wahrnehmung von der Organisation meines Subjektes mitbestimmt wird. Wesentlich anders stellte sich die Sache aber, wenn wir imstande w�ren, anzugeben, welches die Funktion unseres Wahrnehmens beim Zustandekommen einer Wahrnehmung ist. Wir w��ten dann, was an der Wahrnehmung w�hrend des Wahrnehmens geschieht, und k�nnten auch bestimmen, was an ihr schon sein mu�, bevor sie wahrgenommen wird.

Damit wird unsere Betrachtung von dem Objekt der Wahrnehmung auf das Subjekt derselben abgeleitet. Ich nehme nicht nur andere Dinge wahr, sondern ich nehme mich selbst wahr.. Die Wahrnehmung meiner selbst hat zun�chst den Inhalt, da� ich das Bleibende bin gegen�ber den immer kommenden und gehenden Wahrnehmungsbildern. Die Wahrnehmung des Ich kann in meinem Bewu�tsein stets auftreten, w�hrend ich andere Wahrnehmungen habe. Wenn ich in die Wahrnehmung eines gegebenen Gegenstandes vertieft bin, so habe ich vorl�ufig nur von diesem ein Bewu�tsein. Dazu kann dann die Wahrnehmung meines Selbst treten. Ich bin mir nunmehr nicht blo� des Gegenstandes bewu�t, sondern auch meiner Pers�nlichkeit, die dem Gegenstand gegen�ber steht und ihn beobachtet. Ich sehe nicht blo� einen Baum, sondern ich wei� auch, da� ich es bin, der ihn sieht. Ich erkenne auch, da� in mir etwas vorgeht, w�hrend ich den Baum beobachte. Wenn der Baum

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aus meinem Gesichtskreise verschwindet, bleibt f�r mein Bewu�tsein ein R�ckstand von diesem Vorgange: ein Bild des Baumes. Dieses Bild hat sich w�hrend meiner Beob achtung mit meinem Selbst verbunden. Mein Selbst hat sich bereichert; sein Inhalt hat ein neues Element in sich aufgenommen. Dieses Element nenne ich meine Vorstellung von dem Baume. Ich k�me nie in die Lage, von Vorstellungen zu sprechen, wenn ich diese nicht in der Wahrnehmung meines Selbst erlebte. Wahrnehmungen w�rden kommen und gehen; ich lie�e sie vor�berziehen. Nur dadurch, da� ich mein Selbst wahrnehme und merke, da� mit jeder Wahrnehmung sich auch dessen Inhalt �ndert, sehe ich mich gezwungen, die Beobachtung des Gegenstandes mit meiner eigenen Zustandsver�nderung in Zusammenhang zu bringen und von meiner Vorstellung zu sprechen.

Die Vorstellung nehme ich an meinem Selbst wahr, in dem Sinne, wie Farbe, Ton usw. an andern Gegenst�nden. Ich kann jetzt auch den Unterschied machen, da� ich diese andern Gegenst�nde, die sich mir gegen�berstellen, Au�enwelt nenne, w�hrend ich den Inhalt meiner Selbstwahrnehmung als Innenwelt bezeichne. Die Verkennung des Verh�ltnisses von Vorstellung und Gegenstand hat die gr��ten Mi�verst�ndnisse in der neueren Philosophie herbeigef�hrt. Die Wahrnehmung einer Ver�nderung in uns, die Modifikation, die mein Selbst erf�hrt, wurde in den Vordergrund gedr�ngt und das diese Modifikation veranlassende Objekt ganz aus dem Auge verloren. Man hat gesagt: wir nehmen nicht die Gegenst�nde wahr, sondern nur unsere Vorstellungen. Ich soll nichts wissen von dem Tische an sich, der Gegenstand meiner Beobachtung ist, sondern nur von der Ver�nderung, die mit mir selbst vorgeht, w�hrend ich den

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Tisch wahrnehme. Diese Anschauung darf nicht mit der vorhin erw�hnten Berkeleyschen verwechselt werden. Berkeley behauptet die subjektive Natur meines Wahrnehmungsinhaltes, aber er sagt nicht, da� ich nur von meinen Vorstellungen wissen kann. Er schr�nkt mein Wissen auf meine Vorstellungen ein, weil er der Meinung ist, da� es keine Gegenst�nde au�erhalb des Vorstellens gibt. Was ich als Tisch ansehe, das ist im Sinne Berkeleys nicht mehr vorhanden, sobald ich meinen Blick nicht mehr darauf richte. Deshalb l��t Berkeley meine Wahrnehmungen unmittelbar durch die Macht Gottes entstehen. Ich sehe einen Tisch, weil Gott diese Wahrnehmung in mir hervorruft. Berkeley kennt daher keine anderen realen Wesen als Gott und die menschlichen Geister. Was wir Welt nennen, ist nur innerhalb der Geister vorhanden. Was der naive Mensch Au�enwelt, k�rperliche Natur nennt, ist f�r Berkeley nicht vorhanden. Dieser Ansicht steht die jetzt herrschende Kantsche gegen�ber, welche unsere Erkenntnis von der Welt nicht deshalb auf unsere Vorstellungen einschr�nkt, weil sie �berzeugt ist, da� es au�er diesen Vorstellungen keine Dinge geben kann, sondern weil sie uns so organisiert glaubt, da� wir nur von den Ver�nderungen unseres eigenen Selbst, nicht von den diese Ver�nderungen veranlassenden Dingen an sich erfahren k�nnen. Sie folgert aus dem Umstande, da� ich nur meine Vorstellungen kenne, nicht, da� es keine von diesen Vorstellungen unabh�ngige Existenz gibt, sondern nur, da� das Subjekt eine solche nicht unmittelbar in sich aufnehmen, sie nicht anders als durch das �Medium seiner subjektivenGedanken imaginieren, fingieren, denken, erkennen, vielleicht auch nicht erkennen kann� (0. Liebmann, Zur Analysis der Wirklichkeit, Seite 28). Diese Anschauung glaubt etwas

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unbedingt Gewisses zu sagen, etwas, was ohne alle Beweise unmittelbar einleuchtet. �Der erste Fundamentalsatz, den sich der Philosoph zu deutlichem Bewu�tsein zu bringen hat, besteht in der Erkenntnis, da� unser Wissen sich zun�chst auf nichts weiter als auf unsere Vorstellungen erstreckt. Unsere Vorstellungen sind das Einzige, was wir unmittelbar erfahren, unmittelbar erleben; und eben weil wir sie unmittelbar erfahren, deswegen vermag uns auch der radikalste Zweifel das Wissen von denselben nicht zu entrei�en. Dagegen ist das Wissen, das �ber unser Vorstellen -- ich nehme diesen Ausdruck hier �berall im weitesten Sinne, so da� alles psychische Geschehen darunter f�llt -- hinausgeht, vor dem Zweifel nicht gesch�tzt. Daher mu� zu Beginn des Philosophierens alles �ber die Vorstellungen hinausgehende Wissen ausdr�cklich als bezweifelbar hingestellt werden�, so beginnt Volkelt sein Buch �ber �Immanuel Kants Erkenntnistheorie�. Was hiermit so hingestellt wird, als ob es eine unmittelbare und selbstverst�ndliche Wahrheit sei, ist aber in Wirklichkeit das Resultat einer Gedankenoperation, die folgenderma�en verl�uft: Der naive Mensch glaubt, da� die Gegenst�nde, so wie er sie wahrnimmt, auch au�erhalb seines Bewu�tseins vorhanden sind. Die Physik, Physiologie und Psychologie scheinen aber zu lehren, da� zu unseren Wahrnehmungen unsere Organisation notwendig ist, da� wir folglich von nichts wissen k�nnen, als von dem, was unsere Organisation uns von den Dingen �berliefert.

Unsere Wahrnehmungen sind somit Modifikationen unserer Organisation, nicht Dinge an sich. Den hier angedeutetenGedankengang hat Eduard von Hartmann in der Tat als denjenigen charakterisiert, der zur �berzeugung von dem Satze f�hren mu�, da� wir ein direktes Wissen nur von

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unseren Vorstellungen haben k�nnen (vergleiche dessen �Grundproblem der Erkenntnistheorie�, 5. 16~O). Weil wir au�erhalb unseres Organismus Schwingungen der K�rper und der Luft finden, die sich uns als Schall darstellen, so wird gefolgert, da� das, was wir Schall nennen, nichts weiter sei als eine subjektive Reaktion unseres Organismus auf jene Bewegungen in der Au�enwelt. In derselben Weise findet man, da� Farbe und W�rme nur Modifikationen unseres Organismus seien. Und zwar ist man der Ansicht, da� diese beiden Wahrnehmungsarten in uns hervorgerufen werden durch die Wirkung von Vorg�ngen in der Au�enwelt, die von dem, was W�rmeerlebnis oder Farbenerlebnis ist, durchaus verschieden sind. Wenn solche Vorg�nge die Hautnerven meines K�rpers erregen, so habe ich die subjektive Wahrnehmung der W�rme, wenn solche Vorg�nge den Sehnerv treffen, nehme ich Licht und Farbe wahr. Licht, Farbe und W�rme sind also das, womit meine Sinnesnerven auf den Reiz von au�en antworten. Auch der Tastsinn liefert mir nicht die Gegenst�nde der Au�enwelt, sondern nur meine eigenen Zust�nde. Im Sinne der modernen Physik k�nnte man etwa denken, da� die K�rper aus unendlich kleinen Teilen, den Molek�len bestehen, und da� diese Molek�le nicht unmittelbar aneinandergrenzen, sondern gewisse Entfernungen voneinander haben. Es ist also zwischen ihnen der leere Raum. Durch diese wirken sie aufeinander mittelst anziehender und absto�ender Kr�fte. Wenn ich meine Hand einem K�rper n�here, so ber�hren die Molek�le meiner Hand keineswegs unmittelbar diejenigen des K�rpers, sondern es bleibt eine gewisse Entfernung zwischen K�rper und Hand, und was ich als Widerstand des K�rpers empfinde, das ist nichts weiter als die Wirkung der ab

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sto�enden Kraft, die seine Molek�le auf meine Hand aus�ben. Ich bin schlechthin au�erhalb des K�rpers und nehme nur seine Wirkung auf meinen Organismus wahr.

Erg�nzend zu diesen �berlegungen tritt die Lehre von den sogenannten spezifischen Sinnesenergien, die 1.-- M�ller (1801-1858) aufgestellt hat. Sie besteht darin, da� jeder Sinn die Eigent�mlichkeit hat, auf alle �u�eren Reize nur in einer bestimmten Weise zu antworten. Wird auf den Sehnerv eine Wirkung ausge�bt, so entsteht Lichtwahrnehmung, gleichg�ltig ob die Erregung durch das geschieht, was wir Licht nennen, oder ob ein mechanischer Druck oder ein elektrischer Strom auf den Nerv einwirkt. Andrerseits werden in verschiedenen Sinnen durch die gleichen �u�eren Reize verschiedene Wahrnehmungen hervorgerufen. Daraus scheint hervorzugehen, da� unsere Sinne nur das �berliefern k�nnen, was in ihnen selbst vorgeht, nichts aber von der Au�enwelt. Sie bestimmen die Wahrnehmungen je nach ihrer Natur.

Die Physiologie zeigt, da� auch von einem direkten Wissen dessen keine Rede sein kann, was die Gegenst�nde in unseren Sinnesorganen bewirken. Indem der Physiologe die Vorg�nge in unserem eigenen Leibe verfolgt, findet er, da� schon in den Sinnesorganen die Wirkungen der �u�eren Bewegung in der mannigfaltigsten Weise umge�ndert werden. Wir sehen das am deutlichsten an Auge und Ohr. Beide sind sehr komplizierte Organe, die den �u�eren Reiz wesentlich ver�ndern, ehe sie ihn zum entsprechenden Nerv bringen. Von dem peripherischen Ende des Nervs wird nun der schon ver�nderte Reiz weiter zum Gehirn geleitet. Hier erst m�ssen wieder die Zentralorgane erregt werden. Daraus wird geschlossen, da� der �u�ere Vorgang eine Reihe

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von Umwandlungen erfahren hat, ehe er zum Bewu�tsein kommt. Was da im Gehirne sich abspielt, ist durch so viele Zwischenvorg�nge mit dem �u�eren Vorgang verbunden, da� an eine �hnlichkeit mit demselben nicht mehr gedacht werden kann. Was das Gehirn der Seele zuletzt vermittelt, sind weder �u�ere Vorg�nge, noch Vorg�nge in den Sinnesorganen, sondern nur solche innerhalb des Gehirnes. Aber auch die letzteren nimmt die Seele noch nicht unmittelbar wahr. Was wir im Bewu�tsein zuletzt haben, sind gar keine Gehirnvorg�nge, sondern Empfindungen. Meine Empfindung des Rot hat gar keine �hnlichkeit mit dem Vorgange, der sich im Gehirn abspielt, wenn ich das Rot empfinde. Das letztere tritt erst wieder als Wirkung in der Seele auf und wird nur verursacht durch den Hirnvorgang. Deshalb sagt Hartmann (Grundproblem der Erkenntnistheorie, 5. 37): �Was das Subjekt wahrnimmt, sind also immer nur Modifikationen seiner eigenen psychischen Zust�nde und nichts anderes.� Wenn ich die Empfindungen habe, dann sind diese aber noch lange nicht zu dem gruppiert, was ich als Dinge wahrnehme. Es k�nnen mir ja nur einzelne Empfindungen durch das Gehirn vermittelt werden. Die Empfindungen der H�rte und Weichheit werden mir durch den Tast, die Farben, und Lichtempfindungen durch den Gesichtssinn vermittelt. Doch finden sich dieselben an einem und demselben Gegenstande vereinigt. Diese Vereinigung mu� also erst von der Seele selbst bewirkt werden. Das hei�t, die Seele setzt die einzelnen durch das Gehirn vermittelten Empfindungen zu K�rpern zusammen. Mein Gehirn �berliefert mir einzeln die Gesichts, Tast, und Geh�rempfindungen, und zwar auf ganz verschiedenen Wegen, die dann die Seele zu der Vorstellung Trompete zusammen

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setzt. Dieses Endglied (Vorstellung der Trompete) eines Prozesses ist es, was f�r mein Bewu�tsein zu allererst gegeben ist. Es ist in demselben nichts mehr von dem zu finden, was au�er mir ist und urspr�nglich einen Eindruck auf meineSinnegemacht hat.Der �u�ereGegenstand ist auf dem Wege zum Gehirn und durch das Gehirn zur Seele vollst�ndig verlorengegangen.

Es wird schwer sein, ein zweites Gedankengeb�ude in der Geschichte des menschlichen Geisteslebens zu finden, das mit gr��erem Scharfsinn zusammengetragen ist, und das bei genauerer Pr�fung doch in nichts zerf�llt. Sehen wir einmal n�her zu, wie es zustande kommt. Man geht zun�chst von dem aus, was dem naiven Bewu�tsein gegeben ist, von dem wahrgenommenen Dinge. Dann zeigt man, da� alles, was an diesem Dinge sich findet, f�r uns nicht da w�re, wenn wir keine Sinne h�tten. Kein Auge: keine Farbe. Also ist die Farbe in dem noch nicht vorhanden, was auf das Auge wirkt. Sie entsteht erst durch die Wechselwirkung des Auges mit dem Gegenstande. Dieser ist also farblos. Aber auch im Auge ist die Farbe nicht vorhanden; denn da ist ein chemischer oder physikalischer Vorgang vorhanden, der erst durch den Nerv zum Gehirn geleitet wird, und da einen andern ausl�st. Dieser ist noch immer nicht die Farbe. Sie wird erst durch den Hirnproze� in der Seele hervorgerufen. Da tritt sie mir noch immer nicht ins Bewu�tsein, sondern wird erst durch die Seele nach au�en an einen K�rper verlegt. An diesem glaube ich sie endlich wahrzunehmen. Wir haben einen vollst�ndigen Kreisgang durchgemacht. Wir sind uns eines farbigen K�rpers bewu�t geworden. Das ist das Erste. Nun hebt die Gedankenoperation an. Wenn ich keine Augen h�tte, w�re der K�rper f�r mich farblos. Ich kann die Farbe

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also nicht in den K�rper verlegen. Ich gehe auf die Suche nach ihr. Ich suche sie im Auge: vergebens; im Nerv: vergebens; im Gehirne: ebenso vergebens; in der Seele: hier finde ich sie zwar, aber nicht mit dem K�rper verbunden. Den farbigen K�rper finde ich erst wieder da, wo ich ausgegangen bin. Der Kreis ist geschlossen. Ich glaube das als Erzeugnis meiner Seele zu erkennen, was der naive Mensch sich als drau�en im Raume vorhanden denkt.

So lange man dabei stehen bleibt, scheint alles in sch�nster Ordnung. Aber die Sache mu� noch einmal von vorne angefangen werden. Ich habe ja bis jetzt mit einem Dinge gewirtschaftet: mit der �u�eren Wahrnehmung, von dem ich fr�her, als naiver Mensch, eine ganz falsche Ansicht gehabt habe. Ich war der Meinung: sie h�tte so, wie ich sie wahrnehme, einen objektiven Bestand. Nun merke ich, da� sie mit meinem Vorstellen verschwindet, da� sie nur eine Modifikation meiner seelischen Zust�nde ist. Habe ich nun �berhaupt noch ein Recht, in meinen Betrachtungen von ihr auszugehen? Kann ich von ihr sagen, da� sie auf meine Seele wirkt? Ich mu� von jetzt ab den Tisch, von dem ich fr�her geglaubt habe, da� er auf mich wirkt und in mir eine Vorstellung von sich hervorbringt, selbst als Vorstellung behandeln. Konsequenterweise sind dann aber auch meine Sinnesorgane und die Vorg�nge in ihnen blo� subjektiv. Ich habe kein Recht, von einem wirklichen Auge zu sprechen, sondern nur von meiner Vorstellung des Auges. Ebenso ist es mit der Nervenleitung und dem Gehirnproze� und nicht weniger mit dem Vorgange in der Seele selbst, durch den aus dem Chaos der mannigfaltigen Empfindungen Dinge aufgebaut werden sollen. Durchlaufe ich unter Voraussetzung der Richtigkeit des ersten Gedankenkreisganges die

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Glieder meines Erkenntnisaktes nochmals, so zeigt sich der letztere als ein Gespinst von Vorstellungen, die doch als solche nicht aufeinander wirken k�nnen. Ich kann nicht sagen: meine Vorstellung des Gegenstandes wirkt auf meine Vorstellung des Auges, und aus dieser Wechselwirkung geht die Vorstellung der Farbe hervor. Aber ich habe es auch nicht n�tig. Denn sobald mir klar ist, da� mir meine Sinnesorgane und deren T�tigkeiten, mein Nerven, und Seelenproze� auch nur durch die Wahrnehmung gegeben werden k�nnen, zeigt sich der geschilderte Gedankengang in seiner vollen Unm�glichkeit. Es ist richtig: f�r mich ist keine Wahrnehmung ohne das entsprechende Sinnesorgan gegeben.

Aber ebensowenig ein Sinnesorgan ohne Wahrnehmung. Ich kann von meiner Wahrnehmung des Tisches auf das Auge �bergehen, das ihn sieht, auf die Hautnerven, die ihn tasten; aber was in diesen vorgeht, kann ich wieder nur aus der Wahrnehmung erfahren. Und da bemerke ich denn bald, da� in dem Proze�, der sich im Auge vollzieht, nicht eine Spur von �hnlichkeit ist mit dem, was ich als Farbe wahrnehme. Ich kann meine Farbenwahrnehmung nicht dadurch vernichten, da� ich den Proze� im Auge aufzeige, der sich w�hrend dieser Wahrnehmung darin abspielt. Ebensowenig finde ich in den Nerven, und Gehirnprozessen die Farbe wieder; ich verbinde nur neue Wahrnehmungen innerhalb meines Organismus mit der ersten, die der naive Mensch au�erhalb seines Organismus verlegt. Ich gehe nur von einer Wahrnehmung zur andern �ber.

Au�erdem enth�lt die ganze Schlu�folgerung einen Sprung. Ich bin in der Lage, die Vorg�nge in meinem Organismus bis zu den Prozessen in meinem Gehirne zu verfolgen, wenn auch meine Annahmen immer hypothetischer

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werden, je mehr ich mich den zentralen Vorg�ngen des Gehirn es n�here. Der Weg der �u�eren Beobachtung h�rt mit demVorgange in meinem Gehirne auf, und zwar mit jenem, den ich wahrnehmen w�rde, wenn ich mit physikalischen, chemischen usw. Hilfsmitteln und Methoden das Gehirn behandeln k�nnte. Der Weg der inneren Beobachtung f�ngt mit der Empfindung an und reicht bis zum Aufbau der Dinge aus dem Empfindungsmaterial. Beim �bergang von dem Hirnproze� zur Empfindung ist der Beobachtungsweg unterbrochen.

Die charakterisierte Denkart, die sich im Gegensatz zum Standpunkte des naiven Bewu�tseins, den sie naiven Realismus nennt, als kritischen Idealismus bezeichnet, macht den Fehler, da� sie die eine Wahrnehmung als Vorstellung charakterisiert, aber die andere gerade in dem Sinne hinnimmt, wie es der von ihr scheinbar widerlegte naiveRealismus tut. Sie will den Vorstellungscharakter der Wahrnehmungen beweisen, indem sie in naiver Weise die Wahrnehmungen am eigenen Organismus als objektiv g�ltige Tatsachen hinnimmt und zu alledem noch �bersieht, da� sie zwei Beobachtungsgebiete durcheinander wirft, zwischen denen sie keine Vermittlung finden kann.

Der kritische Idealismus kann den naiven Realismus nur widerlegen, wenn er selbst in naiv-realistischer Weise seinen eigenen Organismus als objektiv existierend annimmt. In demselben Augenblicke, wo er sich der vollst�ndigen Gleichartigkeit der Wahrnehmungen am eigenen Organismus mit den vom naiven Realismus als objektiv existierend angenommenen Wahrnehmungen bewu�t wird, kann er sich nicht mehr auf die ersteren als auf eine sichere Grundlage st�tzen. Er m��te auch seine subjektive Organisation als

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blo�en Vorstellungskomplex ansehen. Damit geht aber die M�glichkeit verloren, den Inhalt der wahrgenommenen Welt durch die geistige Organisation bewirkt zu denken. Man m��te annehmen, da� die Vorstellung �Farbe� nur eine Modifikation der Vorstellung �Auge� sei. Der sogenannte kritische Idealismus kann nicht bewiesen werden, ohne eine Anleihe beim naiven Realismus zu machen. Der letztere wird nur dadurch widerlegt, da� man dessen eigene Voraussetzungen auf einem anderen Gebiete ungepr�ft gelten l��t.

Soviel ist hieraus gewi�: durch Untersuchungen innerhalb des Wahrnehmungsgebietes kann der kritische Idealismus nicht bewiesen, somit die Wahrnehmung ihres objektiven Charakters nicht entkleidet werden.

Noch weniger aber darf der Satz: �Die wahrgenommene Welt ist meine Vorstellung� als durch sich selbst einleuchtend und keines Beweises bed�rftig hingestellt werden. Schopenhauer beginnt sein Hauptwerk �Die Welt als Wille und Vorstellung� mit den Worten: �Die Welt ist meine Vorstellung: -- dies ist die Wahrheit, welche in Beziehung auf jedes lebende und erkennende Wesen gilt; wiewohl der Mensch allein sie in das reflektierte abstrakte Bewu�tsein bringen kann: und tut er dies wirklich, so ist die philosophische Besonnenheit bei ihm eingetreten. Es wird ihm dann deutlich und gewi�, da� er keine Sonne kennt und keine Erde; sondern immer nur ein Auge, das eine Sonne sieht, eine Hand, die eine Erde f�hlt; da� die Welt, welche ihn umgibt, nur als Vorstellung da ist, das hei�t durchweg nur in Beziehung auf ein Anderes, das Vorstehende, welches er selbst ist. -- Wenn irgend eine Wahrheit a priori ausgesprochen werden kann, so ist es diese: denn sie ist die Aussage derjenigen

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Form aller m�glichen und erdenklichen Erfahrung, welche allgemeiner als alle andern, als Zeit, Raum und Kausalit�t ist: denn alle diese setzen jene eben schon voraus . . . � Der ganze Satz scheitert an dem oben bereits von mir angef�hrten Umstande, da� das Auge und die Hand nicht weniger Wahrnehmungen sind als die Sonne und die Erde. Und man k�nnte im Sinne Schopenhauers und mit Anlehnung an seine Ausdrucksweise seinen S�tzen entgegenhalten: Mein Auge, das die Sonne sieht, und meine Hand, die die Erde f�hlt, sind meine Vorstellungen gerade so wie die Sonne und die Erde selbst. Da� ich damit aber den Satz wieder aufhebe, ist ohne weiteres klar. Denn nur mein wirkliches Auge und meine wirkliche Hand k�nnten die Vorstellungen Sonne und Erde als ihre Modifikationen an sich haben, nicht aber meine Vorstellungen Auge und Hand. Nur von diesen aber darf der kritische Idealismus sprechen.

Der kritische Idealismus ist v�llig ungeeignet, eine Ansicht �ber das Verh�ltnis von Wahrnehmung und Vorstellung zu gewinnen. Die auf Seite 67 f. angedeutete Scheidung dessen, was an der Wahrnehmung w�hrend des Wahrnehmens geschieht und was an ihr schon sein mu�, bevor sie wahrgenommen wird, kann er nicht vornehmen. Dazu mu� also ein anderer Weg eingeschlagen werden.

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