Die Philosophie der Freiheit

ZWEITER ANHANG


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In dem Folgenden wird in allem Wesentlichen wiedergegeben, was als eine Art �Vorrede� in der ersten Auflage dieses Buches stand. Da es mehr die Gedankenstimmung gibt, aus der ich vor f�nfundzwanzig Jahren das Buch niederschrieb, als da� es mit dem Inhalte desselben unmittelbar etwas zu tun h�tte, setze ich es hier als �Anhang� her. Ganz weglassen m�chte ich es aus dem Grunde nicht, weil immer wieder die Ansicht auftaucht, ich habe wegen meiner sp�teren geisteswissenschaftlichen Schriften etwas von meinen fr�heren Schriften zu unterdr�cken.

Unser Zeitalter kann die Wahrheit nur aus der Tiefe des menschlichen Wesens sch�pfen wollen*. Von Schillers bekannten zwei Wegen:

�Wahrheit suchen wir beide, du au�en im Leben, ich innen In dem Herzen, und so findet sie jeder gewi�. Ist das Auge gesund, so begegnet es au�en dem Sch�pfer; Ist es das Herz, dann gewi� spiegelt es innen die Welt�

wird der Gegenwart vorz�glich der zweite frommen. Eine Wahrheit, die uns von au�en kommt, tr�gt immer den Stempel der Unsicherheit an sich. Nur was einem jeden von uns in seinem eigenen Innern als Wahrheit erscheint, daran m�gen wir glauben.

* Ganz weggelassen sind hier nur die allerersten Eingangss�tze (der ersten Auflage) dieser Ausf�hrungen, die mir heute ganz unwesentlich erscheinen. Was aber des weiteren darin gesagt ist, scheint mir auch gegenw�rtig trotz der naturwissenschaftlichen Denkart unserer Zeitgenossen, ja gerade wegen derselben, zu sagen notwendig.

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Nur die Wahrheit kann uns Sicherheit bringen im Entwickeln unserer individuellen Kr�fte. Wer von Zweifeln gequ�lt ist, dessen Kr�fte sind gel�hmt. In einer Welt, die ihm r�tselhaft ist, kann er kein Ziel seines Schaffens finden.

Wir wollen nicht mehr blo� glauben; wir wollen wissen. Der Glaube fordert Anerkennung von Wahrheiten, die wir nicht ganz durchschauen. Was wir aber nicht ganz durchschauen, widerstrebt dem Individuellen, das alles mit seinem tiefsten Innern durchleben will. Nur das Wissen befriedigt uns, das keiner �u�eren Norm sich unterwirft, sondern aus dem Innenleben der Pers�nlichkeit entspringt.

Wir wollen auch kein solches Wissen, das in eingefrorenen Schulregeln sich ein f�r allemal ausgestaltet hat, und in f�r alle Zeiten g�ltigen Kompendien aufbewahrt ist. Wir halten uns jeder berechtigt, von seinen n�chsten Erfahrungen, seinen unmittelbaren Erlebnissen auszugehen, und von da aus zur Erkenntnis des ganzen Universums aufzusteigen. Wir erstreben ein sicheres Wissen, aber jeder auf seine eigene Art.

Unsere wissenschaftlichen Lehren sollen auch nicht mehr eine solche Gestalt annehmen, als wenn ihre Anerkennung Sache eines unbedingten Zwanges w�re. Keiner von uns m�chte einer wissenschaftlichen Schrift einen Titel geben, wie einst Fichte: �Sonnenklarer Bericht an das gr��ere Publikum �ber das eigentliche Wesen der neuesten Philosophie. Ein Versuch, die Leser zum Verstehen zu zwingen.� Heute soll niemand zum Verstehen gezwungen werden. Wen nicht ein besonderes, individuelles Bed�rfnis zu einer Anschauung treibt, von dem fordern wir keine Anerkennung, noch Zustimmung. Auch dem noch unreifen Menschen, dem Kinde, wollen wir gegenw�rtig keine Erkenntnisse ein-

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trichtern, sondern wir suchen seine F�higkeiten zu entwickeln, damit es nicht mehr zum Verstehen gezwungen zu werden braucht, sondern verstehen will.

Ich gebe mich keiner Illusion hin in bezug auf diese Charakteristik meines Zeitalters. Ich wei�, wie viel individualit�tloses Schablonentum lebt und sich breit macht. Aber ich wei� ebenso gut, da� viele meiner Zeitgenossen im Sinne der angedeuteten Richtung ihr Leben einzurichten suchen. Ihnen m�chte ich diese Schrift widmen. Sie soll nicht �den einzig m�glichen� Weg zur Wahrheit f�hren, aber sie soll von demjenigen erz�hlen, den einer eingeschlagen hat, dem es um Wahrheit zu tun ist.

Die Schrift f�hrt zuerst in abstraktere Gebiete, wo der Gedanke scharfe Konturen ziehen mu�, um zu sichern Punkten zu kommen. Aber der Leser wird aus den d�rren Begriffen heraus auch in das konkrete Leben gef�hrt. Ich bin eben durchaus der Ansicht, da� man auch in das �therreich der Begriffe sich erheben mu�, wenn man das Dasein nach allen Richtungen durchleben will. Wer nur mit den Sinnen zu genie�en versteht, der kennt die Leckerbissen des Lebens nicht. Die orientalischen Gelehrten lassen die Lernenden erst Jahre eines entsagenden und asketischen Lebens verbringen, bevor sie ihnen mitteilen, was sie selbst wissen. Das Abendland fordert zur Wissenschaft keine frommen �bungen und keine Askese mehr, aber es verlangt daf�r den guten Willen, kurze Zeit sich den unmittelbaren Eindr�cken des Lebens zu entziehen, und in das Gebiet der reinen Gedankenwelt sich zu begeben.

Der Gebiete des Lebens sind viele. F�r jedes einzelne entwickeln sich besondere Wissenschaften. Das Leben selbst aber ist eine Einheit, und je mehr die Wissenschaften be

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strebt sind, sich in die einzelnen Gebiete zu vertiefen, desto mehr entfernen sie sich von der Anschauung des lebendigen Weltganzen. Es mu� ein Wissen geben, das in den einzelnen Wissenschaften die Elemente sucht, um den Menschen zum vollen Leben wieder zur�ckzuf�hren. Der wissenschaftliche Spezialforscher will sich durch seine Erkenntnisse ein Bewu�tsein von der Welt und ihren Wirkungen erwerben; in dieser Schrift ist das Ziel ein philosophisches: die Wissenschaft soll selbst organisch-lebendig werden. Die Einzelwissenschaften sind Vorstufen der hier angestrebten Wissenschaft. Ein �hnliches Verh�ltnis herrscht in den K�nsten. Der Komponist arbeitet auf Grund der Kompositionslehre. Die letztere ist eine Summe von Kenntnissen, deren Besitz eine notwendige Vorbedingung des Komponierens ist. Im Komponieren dienen die Gesetze der Kompositionslehre dem Leben, der realen Wirklichkeit. Genau in demselben Sinne ist die Philosophie eine Kunst. Alle wirklichen Philosophen waren Begriffsk�nstler. F�r sie wurden die menschlichen Ideen zum Kunstmateriale und die wissenschaftliche Methode zur k�nstlerischen Technik. Das abstrakte Denken gewinnt dadurch konkretes, individuelles Leben. Die Ideen werden Lebensm�chte. Wir haben dann nicht blo� ein Wissen von den Dingen, sondern wir haben das Wissen zum realen, sich selbst beherrschenden Organismus gemacht; unser wirkliches, t�tiges Bewu�tsein hat sich �ber ein blo� passives Aufnehmen von Wahrheiten gestellt.

Wie sich die Philosophie als Kunst zur Freiheit des Menschen verh�lt, was die letztere ist, und ob wir ihrer teilhaftig sind oder es werden k�nnen: das ist die Hauptfrage meiner Schrift. Alle anderen wissenschaftlichen Ausf�hrungen stehen hier nur, weil sie zuletzt Aufkl�rung geben �ber jene,

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meiner Meinung nach, den Menschen am n�chsten liegenden Fragen. Eine �Philosophie der Freiheit� soll in diesen Bl�ttern gegeben werden.

Alle Wissenschaft w�re nur Befriedigung m��iger Neugierde, wenn sie nicht auf die Erh�hung des Daseinswertes der menschlichen Pers�nlichkeit hinstrebte. Den wahren Wert erhalten die Wissenschaften erst durch eine Darstellung der menschlichen Bedeutung ihrer Resultate. Nicht die Veredlung eines einzelnen Seelenverm�gens kann Endzweck des Individuums sein, sondern die Entwickelung aller in uns schlummernden F�higkeiten. Das Wissen hat nur dadurch Wert, da� es einen Beitrag liefert zur allseitigen Entfaltung der ganzen Menschennatur.

Diese Schrift fa�t deshalb die Beziehung zwischen Wissenschaft und Leben nicht so auf, da� der Mensch sich der Idee zu beugen hat und seine Kr�fte ihrem Dienst weihen soll, sondern in dem Sinne, da� er sich der Ideenwelt bem�chtigt, um sie zu seinen menschlichen Zielen, die �ber die blo� wissenschaftlichen hinausgehen, zu gebrauchen.

Man mu� sich der Idee erlebend gegen�berstellen k�nnen; sonst ger�t man unter ihre Knechtschaft.

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